Das Buch "Praktisch und Nachhaltig"
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1. Einleitung
- ERSTER TEIL: TECHNISCHE HERAUSFORDERUNGEN
- 2. Grenzen der industriellen Zivilisation
- 2.1 Ersatz der fossilen Energien durch Erneuerbare
- 2.2 Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch
- 2.3 Kernenergie
- 2.4 Politische Verpflichtungen und Wirklichkeit
- 2.5 Finanzierung der Energiewende, Risiken und Möglichkeiten
- 2.6 Schlussfolgerung industrielle Zivilisation
- 3. Grenzen des grünen Wachstums
- 3.1 Leben mit Wachstumsgrenzen
- ZWEITER TEIL: TECHNISCHE LÖSUNGEN
- 4. 2000-Watt Stadtteile
- 4.1 Ziele der 2000-Watt-Stadtteile
- 4.2 Planung eines 2000-Watt Stadtteils
- 4.3 Soziale Organisation eines 2000-Watt-Ökoquartiers
- 4.4 Mobilität
- 4.5 2000-Watt Stadtteile im Fall einer Epidemie
- 4.6 Implementierte Techniken
- 4.7 Beispiel Quartier Kalkbreite
- 4.8 Finanzen
- 4.9 Zertifizierung von 2000-Watt-Stadtteilen
- 4.10 Beschäftigungslosigkeit und 2000-Watt Gesellschaft
- 4.11 Schlussfolgerung Machbarkeit
- 5. Wege zur nachhaltigen Landwirtschaft
- 5.1 Zentrum und Peripherie von Imperien
- 5.2 Matrix der urbanen Zivilisation
- 5.3 Eigenschaften von Imperien
- 5.4 Produktivistische Agrarpolitik des Imperiums
- 5.5 Nachhaltige Landwirtschaft
- 5.6 Beitrag der Stadtbewohner zur Transformation der Landwirtschaft
- DRITTER TEIL: MENSCHLICHE HINDERNISSE UND MÖGLICHKEITEN
- 6. Grenzen der materialistischen Philosophie
- 6.1 Prämissen der vorherrschenden Philosophie
- 7. Freiheit der Post-Öl Gesellschaft
- 7.1 Freie Maschienen ?
- 7.2 Frei Gedanken
- 7.3 Freiheit der Mächtigen
- 7.4 Negative Freiheit
- 7.5 Positive Freiheit
- 7.6 Nachhaltige Freiheit ?
- 8. Gleichheit von 2000 Watt
- 8.1 Kulturelle Vorstellungen von Gleichheit
- 8.2 Komplexe Gleichheit mit Vielfalt
- 8.3 Einfache Gleichheit von Klonen
- 8.4 Identitäten
- 8.5 Gleichheit des Energieverbrauchs
- 8.6 Historische Entwicklung des Gerechtigkeitsbegriffs
- 9. Gemeinschaftssinn für die Post-Öl Gesellschaft
- 9.1 Destruktive Muster für den Gemeinschaftssinn
- 9.2 Gemeinschaftssinn und Genossenschaften
- 9.3 Gemeinschaftssinn des Teilens
- 9.4 Restaurative Justiz
- 9.5 Gemeinschaftssinn durch direkte Demokratie
- 9.6 Verbrüderung mit der Schöpfung
- 9.7 Schlussfolgerung zu Freiheit, Gleichheit, Gemeinschaftssinn
- 10. Macht des Geldes über den menschlichen Verstand
- 10.1 Die Unersättlichkeit von Mammon
- 10.2 Drei Begriffe von Eigentum
- 10.3 Wann sind wir mit unseren Besitzen zufrieden?
- 11. Maschinensklaven
- 11.1 Ganz kurze Geschichte der Sklaverei
- 11.2 Bekämpfung der Sklaverei
- 11.3 Woran sparen Ökonomen?
- 11.4 Schlussfolgerung zu Maschinensklaven
- 12. Schlussfolgerung
- 12.1 Praktische allgemeine Regeln zum Weiterdenken
1. Einleitung
Viele Forscher leisten wichtige Arbeit in unzähligen Bereichen; sie vermehren das Wissen der Menschheit. Dieses Wissen ermöglicht es uns, immer komplexere Gesellschaften zu schaffen, auf die Gefahr hin, die Verbindungen zwischen verschiedenen Wissensgebieten aus den Augen zu verlieren. Experten schreiben Bände über immer spezialisiertere Themen. Mit anderen Worten, Spezialisten schreiben immer mehr über immer weniger. Diese absurde Tendenz würde dazu führen, dass die besten Spezialisten bald alles über fast nichts wissen.
Die Kehrseite der Spezialisierung auf immer engere Bereiche ist, dass die Übersicht über die menschliche Gesellschaft verloren geht. Spezialisten haben kaum noch eine Übersicht über ihr eigenes Kompetenzfeld, geschweige denn über verschiedene Fachgebiete. Deshalb sehen Universitäten oft einen Bedarf, interdisziplinär zu arbeiten. So jedenfalls das Transdisziplinäre Labor der Eidgenössischen Technischen Hochschule, dessen Beiträge zu den 2000-Watt-Stadtteilen in diesem Buch diskutiert werden. Dabei ist es nicht immer einfach Experten aus verschiedenen Disziplinen zusammenzubringen, da jedes Fachgebiet seine eigene Fachsprache verwendet, welche für den nicht-Fachmann meist unverständlich ist.
Zu Beginn der Covid-19-Krise sagte der französische Philosoph Edgar Morin: „Wie können wir all unser Wissen organisieren und verknüpfen und dabei auch die Ungewissheit integrieren? Für mich zeigt dies einmal mehr den Mangel an unserem Schaffen von Wissen, weil wir auftrennen was untrennbar ist, auf ein einzelnes Element reduzieren, was ein Ganzes formt und sowohl Einheit auch als Vielfalt ist. Die überwältigende Offenbarung der nun erlebten Umwälzungen ist, dass alles, was getrennt schien, in Wirklichkeit miteinander verbunden ist. So verwandelt eine Epidemie alles Menschliche in einer Kettenreaktion in eine allgemeine Katastrophe [1]".
Ohne Überblick ist es schwierig bis unmöglich den richtigen Weg zu finden. Während die einen ökologischen Problemen Vorrang einräumen und ein Schrumpfen der Wirtschaft akzeptieren, erleiden andere Arbeitslosigkeit und Armut und fordern mehr Kaufkraft. Einerseits sollten wir Energie sparen, indem wir kleinere Autos bauen, andererseits sollten wir Luxusautos bauen, weil sich sportliche Geländewagen besser verkaufen und der Industrie mehr Gewinne einbringen. Die einen wollen den Autoverkehr reduzieren, während andere zunehmend aufs Auto angewiesen sind; was übrigens zur französischen Gelbwesten-Revolte geführt hat. Die Mobilität ist nur ein Gegensatz unter vielen zwischen städtischen Zentren und ländlichen Gemeinden. Seit 5000 Jahren lodern solche Konflikte immer wieder auf. Unzählige Windturbinen sollen in Zukunft Großstädte mit Strom versorgen, aber die Anlagen stehen meist in ländlichen Gemeinden. Kapitel 5 zeigt, wie der uralte Konflikt in Zusammenarbeit umgewandelt werden könnte, denn Windturbinen können nicht dauernd von Polizisten bewacht werden, nur weil die Großstädte die ländliche Bevölkerung wie ein feindliches Imperium behandeln. Klimaziele werden nur erreichbar sein, wenn dieser Land-Stadt Konflikt entschärft wird.
Der französische Soziologe Jean Viard sagte am 16. Januar 2020 in einem Nachrichtensender: „Der Pessimismus nährt sich hauptsächlich vom Mangel an Perspektive, die Franzosen wissen nicht, wohin sie gehen“. "Ohne Vision gehen die Leute drunter und drüber", sagte ein König der alten Hebräer gemäß Übersetzung von Chouraqui. Wir riskieren, dass nicht identifizierte Ursachen von Ängsten und fehlende Perspektiven unsere Gesellschaften in politische Extreme treiben, die niemand wirklich will. Anne-Lorène Vernay von der Grenoble School of Management sagte: „Wir sind mental blockiert, weil wir nicht wissen, wie ein angenehmes Leben in einer CO2-freien Gesellschaft aussehen könnte [2]". Da die 2000-Watt-Stadtteile zeigen, wie eine CO2-freie Gesellschaft mit einer angenehmen Lebensweise aussehen könnte, können sie als befreiende Beispiele dienen.
Anstatt mehrere Bücher über einzelne Spezialgebiete zu schreiben, in denen der Leser die Abhängigkeiten nicht sieht, habe ich mich entschieden, in einem einzigen Buch alle Themen zu entwickeln, die den Übergang zur 2000-Watt Post-Öl-Gesellschaft bestimmen. Mein Ansatz ist nicht der eines Forschers, der angesichts eines neuen Phänomens eine neue Theorie sucht, sondern der eines Ingenieurs, der vor einer großen Herausforderung steht und praktische Lösungen für verschiedene Probleme sucht. Die vorgeschlagenen Lösungen sind sowohl technischer als auch soziologischer Art.
Die Kernthese des Buches lautet, dass in einer Demokratie Veränderungen von der Zivilgesellschaft anstoßen werden müssen, da Staaten und Regierungen seit 1990 immer wieder beschließen, die CO2-Emissionen zu reduzieren, diese aber tatsächlich in der gleichen Zeitspanne verdoppelt haben. Seit über 10 Jahren zeigen Teile der Schweizer Zivilgesellschaft durch mehrere 2000-Watt-Stadtteile konkrete nachahmenswerte Lösungen. Diese Stadtteile zeigen auch, dass ohne eine Änderung der Prioritäten der Bewohner ein erfolgreicher Übergang zur klimaneutralen 2000-Watt-Gesellschaft nicht möglich ist. Ohne Prioritäten und Werte zu ändern, werden unsere Gesellschaften den Weg der letzten 30 Jahre fortsetzen: Reduzierung des CO2-Ausstoßes ankündigen und das Gegenteil praktizieren, wenigstens so lange fossile Brennstoffe wettbewerbsfähig sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit den dominanten Werten unserer globalisierten Gesellschaften erscheint daher unabdingbar, denn die dominanten Werte beeinflussen die Richtung, die eine Gesellschaft auf dem Weg zur Post-Öl-Gesellschaft einschlagen wird.
Die vergangenen Dürren im Sudan und in Syrien haben bereits vorhandene Spannungen innerhalb deren Bevölkerungen verstärkt. Diese Spannungen führten zum Ausbruch von zwei äußerst tödlichen und zerstörerischen Bürgerkriegen. Den Folgen dieser Dürren hätte jedoch mit verstärkter Solidarität in jedem dieser Länder und dank Hilfe anderer Länder begegnet werden können. Stattdessen verursachten sie Bürgerkriege, welche den Hass verstärkten und das Elend vervielfachten.
Hass zwischen Sunniten und Schiiten, wie er in Syrien zum Ausdruck kommt, geht auf innerislamische Bürgerkriege zurück. Beim zweiten Bürgerkrieg wurde der Clan des vierten Kalifen Ali getötet (680), gefolgt vom dritten Bürgerkrieg, der mit der Vernichtung des Umayyaden-Clans durch die Abbasiden (744-750) endete. Solcher über Jahrhunderte aufrechterhaltene Hass war ein Hindernis für die Entwicklung von Solidarität, welche zur Überwindung der schweren Dürre erforderlich gewesen wäre. Anstatt das durch die Dürre verursachte Leid in der sudanesischen Region Dafur zu lindern, verachtete die Zentralmacht die Stämme des Darfur, wodurch Darfurs Rebellen Unterstützung in der Bevölkerung fanden.
Um den friedlichen Übergang zu einer Post-Öl-Gesellschaft zu schaffen, sollten die vorherrschenden Werte einer Gesellschaft bewusst gemacht werden, denn die vorherrschenden Werte können diesen Übergang erleichtern oder erschweren.
In Abhängigkeit der vorherrschenden Werte einer Gesellschaft kann eine Krise aktive Solidarität erzeugen oder einen Bürgerkrieg auslösen, wenn diese Gesellschaft aus sich gegenseitig hassenden Gruppen besteht und dieser Hass von politischen Machthabern genährt wird. Angesichts großer Probleme klammert sich die regierende Bevölkerungsgruppe an ihre Macht, wie in Syrien, denn sie weiß, dass sie durch den Machtverlust verloren ist, gemäß dem Sprichwort Vae Victis! ... wehe den Besiegten!
Eine weitere These dieses Buches ist, dass ein gutes Verständnis von Freiheit, Gleichheit, Geld und Macht auch unerlässlich ist, um ernsthafte ökologische und soziale Krisen zu vermeiden und stattdessen eine ökologisch und sozial nachhaltige Gesellschaft zu schaffen.
Unsere sogenannte "Lebensstandard" hängt maßgeblich von unserem Energieverbrauch ab, weil der materielle Reichtum größtenteils von Maschinen und automatisierten Fabriken produziert wird, was viel Energie benötigt. Allerdings sind weltweit 80 % der verbrauchten Energien fossilen Ursprungs. Kapitel 2 wird zeigen, warum nicht alle fossilen Energieträger durch erneuerbare oder klimaneutrale Energien ersetzt werden können, die Kosten sind schlichtweg zu hoch. Daher ist es dringend erforderlich, neue Lebensweisen zu suchen, um eine gute Lebensqualität bei wesentlich geringerem Energieverbrauch zu erhalten. Außerdem werden unsere Ressourcen knapp, was den Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft konfliktreich machen könnte. Schon bevor unser System an die ökologischen und physikalischen Grenzen des Planeten stößt, sind die Spannungen in unseren Gesellschaften hoch. Eine Vision für eine Post-Öl-Gesellschaft sollte daher auch Überlegungen zum friedlichen Lösen von Konflikten beinhalten, wozu das Justizsystem einiges beiträgt. In Ländern wie Frankreich sind die Gerichte aber bereits überlastet, deren Beitrag zum friedlichen Zusammenleben zweifelhaft und die Gefängnisse überfüllt. Es gibt jedoch eine Form der Gerechtigkeit, die eher zur Versöhnung beiträgt, als die Spannungen in der Bevölkerung zu verstärken. Sie könnte eine bedeutende Rolle beim erfolgreichen Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft beitragen. Details dazu in Kapitel 9.
Leider haben unsere individualistischen Konsumgesellschaften die steigende Kaufkraft zu ein Dogma erhoben. Kein Präsidentschafts- oder Kanzler-Kandidat würde gewählt, wenn er einen 30 Jahre dauernden langsamen individuellen Kaufkraftrückgang versprechen würde. In der Post-Öl-Gesellschaft wird aber ein Rückgang der individuellen Kaufkraft entweder freiwillig oder durch natürliche Kräfte erfolgen, mit oder ohne Verlust an Lebensqualität, mit mehr Solidarität oder ausufernden Konflikten, mit einer Klimaerwärmung von 2 °C oder möglicherweise über 4 °C.
Wenn es gelingen soll, eine Post-Öl-Gesellschaft demokratisch, friedlich, ohne Verlust an Lebensqualität, aber durch Verringerung der individuellen Kaufkraft aufzubauen, so sollten wir über die Natur des Geldes und seinen Einfluss auf den menschlichen Geist nachdenken (Details in Kapitel 10).
Die Internationale Energieagentur (IEA) wird nicht müde zu betonen, dass ein Großteil der Energieeinsparungen durch Verhaltensänderungen der Bevölkerung zustande kommen muss. Um eine gute Lebensqualität zu erhalten, sollten wir daher über Werte und Prioritäten nachdenken, welche unsere Entscheidungen als Verbraucher so leiten, dass der Energieverbrauch auf ein nachhaltiges Niveau sinkt.
Das Buch analysiert deshalb die vorherrschende Philosophie unserer Gesellschaft und entwickelt die soziologischen, philosophischen und praktischen Aspekte einer funktionierenden 2000-Watt-Gesellschaft. Das Buch enthält daher praktische Vorschläge, die in mehreren 2000-Watt-Vierteln oder Öko-Gemeinden durchgeführt wurden und die weitgehend in jeder Nachbarschaft eingeführt werden könnten.
Durch die Schaffung von Öko-Quartieren, welche die neuesten Technologien der Niedrigenergiehäuser anwenden, können Investoren und Institutionen einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Energieverbrauchs leisten. Grob geschätzt entsprechen solche Öko-Quartiere einer 3500-Watt-Gesellschaft. Die individuellen und gemeinsamen Entscheidungen der Bewohner dieser Öko-Quartiere können dann zu einer 2000-Watt-Gesellschaft führen (Details in Kapitel 4).
Seit einiger Zeit häufen sich schlechte Nachrichten über Biodiversität und Klimawandel und schaffen eine schwere und lähmende Atmosphäre in der Gesellschaft. Bücher wie „Leben in der andauernden Notlage“ (Living in the long Emergency) von J.H. Künstler und „Vor dem Kollaps“ (Devant l’effondrement) vom ehemaligen französischen Umweltminister Yves Cochet, verkünden den baldigen und unweigerlichen Zusammenbruch unserer industriellen Zivilisation. Um den Kollaps zu überstehen, schlagen solche Autoren vor, widerstandsfähige Nachbarschaften mit einem nachhaltigen Lebensstil zu organisieren, was dem Geist von 2000-Watt-Stadtteile entspricht. Die 2000-Watt-Stadtteile wollen aber nicht lähmend wirken, sondern einen ermutigenden Weg in die Zukunft aufzeigen.
Einige der Probleme mögen unüberwindbar erscheinen. Ich teile jedoch den Optimismus von Winston Churchill, der durch den Kampf gegen die unbeschreibliche Brutalität des Dritten Reichs am größten Triumph des 20. Jahrhunderts maßgeblich beteiligt war: "Erfolg besteht darin, von Misserfolg zu Misserfolg zu gehen, ohne die Begeisterung zu verlieren".
Sich unter Zeitdruck befindende Leser können den Texten in Fettschrift folgen, welche die Schlussfolgerungen jedes Arguments zusammenfassen. Wenn der Leser eine Schlussfolgerung nicht nachvollziehen kann, so kann er die vorhergehenden Absätze lesen.
Kapitel 2 mag für einige Leser technisch zu komplex und deshalb langweilig sein. Um dennoch das Kernproblem der Industriegesellschaften zu verstehen, könnten sie sich auf die fett gedruckten Abschnitte beschränken.
2. Grenzen der industriellen Zivilisation
(siehe Auszüge von Kapitel 2. auf der Home-Page)
Auszug aus Kapitel 4:
4. 2000-Watt-Stadtteile - Ökoquartiere
Ursprünglich kam die Idee, das Wohlbefinden mit dem Energieverbrauch zu korrelieren, aus Brasilien, wobei Wohlbefinden nicht mit materiellem Wohlstand verwechselt werden sollte. 1985 fragte sich der brasilianische Wissenschaftler José Goldemberg, wie viel Energie ein Mensch verbrauchen darf, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Er fand heraus, dass Menschen unterhalb einer Schwelle von 1000 Watt pro Person das Gefühl haben, besser zu leben, wenn sie ihren Energieverbrauch erhöhen können. Ist diese Schwelle von 1000 Watt jedoch erreicht, verbessert ein höherer Energieverbrauch die Lebensqualität nicht mehr, das Wohlbefinden nimmt nicht mehr zu [3]. Diese überraschend niedrige Schwelle von nur 1000 Watt wird mit einem Blick auf die Statistik der Selbstmordraten verständlicher. Diese ist in reichen Ländern meistens höher als in armen. José Goldemberg machte die Beobachtungen und Messungen auf der Grundlage des brasilianischen Klimas. Der minimale Energiebedarf für ein angenehmes Leben ist in kälteren Ländern naturgemäß höher.
Ab 1995 hat eine Reihe von Forschern der ETH Zürich die Idee von Goldemberg wieder aufgegriffen. Um es an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen, wurde der Energieverbrauch pro Kopf auf 2000 statt 1000 Watt festgelegt, was ebenfalls dem Weltdurchschnitt von 1995 entsprach. Ursprünglich war die graue Energie [4] der öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen nicht in den 2000 Watt enthalten. Die Berechnungen der Forscher zeigten, dass die 2000 Watt es uns ermöglichen würden, unseren derzeitigen Lebensstandard mit einigen sozialen und wirtschaftlichen Anpassungen aufrechtzuerhalten. Wenn der Energiemix zugunsten erneuerbarer Energien geändert wird, ist dieser Verbrauch außerdem auch nachhaltig.
Ob wir also die Energiefrage in der Post-Öl-Gesellschaft mit den Grenzen der finanziellen Mittel angehen, oder mit dem für ein angenehmes Leben notwendig Energieminimum, oder durch die gerechte Aufteilung begrenzter Ressourcen, so landet man in Ländern mit gemäßigtem Klima immer bei einem Energieverbrauch von etwa 2000 Watt pro Person.
Die Frage nach einem nachhaltigen Lebensstil und einer nachhaltigen Wirtschaft unter dem Blickwinkel der Energie anzugehen, hat mehrere Vorteile gegenüber anderen Definitionen wie die "ökologische Decke", welche Donut Economics Action Lab vorgeschlagen wird. Die 2000-Watt-Grenze ist quantifizierbar, messbar und für die Mehrheit der Bevölkerung verständlich. Jeder Haushalt und jede Nachbarschaft kann regelmäßig Bilanz ziehen und Fortschritte in Richtung eines klar definierten Ziels sehen. Die Definition von 2000 Watt ist praktisch und befähigt die Bewohner, sich einem einvernehmlich erklärten Ziel zu nähern.
Im Folgenden müssen wir zwischen der 2000-Watt-Gesellschaft und den 2000-Watt-Stadtteilen unterscheiden. Die 2000-Watt-Stadtteile sind Vorbilder und Experimentierorte, die der gesamten Gesellschaft den Weg in die Post-Öl-Ära zeigen sollen.
Wenn Europa es ernst meint mit der fürs Jahr 2050 angekündigten CO2-Neutralität und damit mehr oder weniger das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft anstrebt, dann könnte Europa zum Vorbild für den Rest der Welt werden. Seit zwei Jahrhunderten ist Europa für den Rest des Planeten ein Modell der Wohlstandproduktion, nur ist leider dieses Modell nicht nachhaltig, sondern destruktiv für den Planeten. An diesem Wendepunkt der Menschheitsgeschichte könnte Europa im Sinne der 2000-Watt-Gesellschaft zum Vorbild für nachhaltige Entwicklung werden. Der Menschheit fehlt es schmerzhaft an positiven Vorbildern und Europa könnte diese Lücke füllen.
Auf diesem Weg sollten allerdings die Europäer keinem Minderwertigkeitskomplex anheimfallen, nur weil das europäische Bruttosozialprodukt (BSP) im Verhältnis zu dem von China oder den USA sinkt. In der Zukunft liegt der wahre Fortschritt darin, eine gute Lebensqualität bei stark reduziertem Energiebedarf zu erhalten. Der bloße Anstieg des BSP ist destruktiv für unsere Zukunft und kein Symbol für Größe. (Photos nicht im Buch).
Das Bruttosozialprodukt steigt auch in einer Gesellschaft, in der immer schwerere Autos sich in immer längeren Staus bewegen, immer mehr Lebensmittel und elektronische Geräte weggeworfen werden, die Anzahl der Verpackungen zunimmt, immer mehr Medikamente konsumiert werden, unnötige chirurgische Operationen durchgeführt werden[5], die Anzahl der Einzelhaushalte zunimmt, die Bürger immer mehr wegen Kleinigkeiten die Justiz bemühen und die Urwälder abgeholzt werden, um für unsere Massentierhaltung Sojabohnen anzubauen. Dies sind keine Zeichen für die Größe einer Kultur, sondern für deren Niedergang.
und das derzeitige Finanzsystem haben unberührte Regenwälder keinen Wert. Diese Urwälder gehen nicht in die Berechnungen des Bruttosozialprodukts (BSP) ein, sie werden von den statistischen Instituten ignoriert. Diese Wälder sind aber die "Lungen der Erde", sie binden viel CO2 und spielen eine wichtige Rolle für das Klima. Gemäß dem "World Resources Institute" (WRI) bindet der Urwald der Republik Kongo 600 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Aber für das BSP eines Landes zählen diese Wälder nichts. Es sollte deshalb niemanden verwundern, dass diese Wälder so behandelt werden, als wären sie wertlos.
Die Internationale Energieagentur (IEA) schreibt in ihrem Bericht „Net Zero by 2050“, dass Veränderungen des menschlichen Verhaltens gleich viel zur Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen sollten wie Energieeffizienzsteigerungen in Industrie, Verkehr und Gebäuden zusammen. Um die Klimaneutralität zu erreichen, können zudem zwei Drittel der CO2-Einsparungen nicht ohne die aktive Beteiligung der Bürger erreicht werden [6]. Der IEA-Bericht zeigt die Unmöglichkeit, immer mehr Kaufkraft, Wohnraum, Autos, Luxusurlaub, elektronische Gadgets besitzen zu wollen und gleichzeitig im Jahr 2050 die Klimaneutralität zu erreichen. Die IEA bestätigt somit die Ansicht der ETH und das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft: Der Lebensstil der Bürger ist entscheidend. Aber um sein Verhalten zu ändern, brauchen Bürger praktische Beispiele, begleitet von politischer, soziologischer und philosophischer Ermutigung. Dieses Kapitel beschreibt deshalb praktische Beispiele für einen klimaneutralen Lebensstil. Wir werden allerdings das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen, ohne zu verstehen, warum der Menschen für sein Wohlbefinden fortlaufend mehr konsumieren möchte. Kapitel 10 zeigt einen anthropologischen Aspekt dieses scheinbar unstillbaren Verlangens nach mehr Geld und zeigt, wie diese menschliche Tendenz gemildert werden kann.
[...] Die Ziele der 2000-Watt-Stadtteile erfordern von Anfang an eine gründliche Planung unter Berücksichtigung vieler Parameter. In allen Bereichen hat Qualität Vorrang vor Quantität, gemäß einem Satz von Saint-Exupéry: "Perfektion wird nicht erreicht, wenn nichts mehr hinzuzufügen ist, sondern wenn nichts mehr zu entfernen ist [um eine bestimmte Funktion zu gewährleisten]".
Eine im April 2021 in Nature veröffentlichte Studie von Gabrielle Adams zeigt, dass 80 % der Menschen es vorziehen, Probleme mit zusätzlichen Mitteln versuchen zu lösen, anstatt eine Komponente, eine Funktion, einen Satz oder eine Idee zu entfernen. Acht verschiedene Experimente haben gezeigt, dass die Teilnehmer selbst vorteilhafte subtraktive Veränderungen nicht erkennen, wenn sie nicht angewiesen werden, über eine Vereinfachung nachzudenken. Diese menschliche Tendenz, nach additiven Veränderungen zu suchen, kann einer der Gründe sein, warum Menschen ihre überfüllten Zeitpläne nicht reduzieren, die Bürokratie nicht vereinfachen und viele schädlichen Auswirkungen ihres Verhaltens auf den Planeten nicht verringern.
4.4. 2000-Watt Stadtteile im Fall einer Epidemie
Die 2000-Watt-Stadtteile haben ein lebendiges soziales Leben, die Bewohner treffen sich in gemeinschaftlichen Räumen und teilen Objekte und Einrichtungen. Deshalb wurde der Einwand erhoben, dass diese Quartiere mit einer im 21. Jahrhundert zu erwartenden Zunahme von Epidemien nicht vereinbar sind. Seit Beginn der Covid-19-Epidemie wird dieser Einwand regelmäßig erhoben, wenn wir auf die Vorteile dieser Stadtteile hinweisen. Nachdem wir jedoch mehrere Sendungen des renommierten Virologen Christian Drosten von der Charité in Berlin gehört hatten, setzte sich die Erkenntnis durch, dass diese Stadtteile leichter durch Epidemien durchkommen könnten als eine individualistische Gesellschaft. Professor Drosten erläuterte unter anderem eine Studie über die Ausbreitung einer Epidemie unter Wüstenmäusen in Kasachstan [7]. Die Studie testete ein epidemiologisches Modell mit tatsächlichen Infektionen, nämlich Yersinia pestis, dem Erreger der Pest. Die Forscher untersuchten dabei das Phänomen der Perkolation [8].
Die untersuchten Laufmäuse leben in Familiengruppen in Tunnelsystemen mit einer Größe von 20 bis 30 Metern Durchmesser. Dieser Raum reicht den dort lebenden Familiengruppen. Die Forscher machten Beobachtungen bis zu vier Kilometer um ein Seuchenzentrum herum. Im Zentrum steht eine Familiengruppe, in welcher der Erreger der Pest beobachtet wurde. Dann suchten die Forscher nach dem Pestvirus bei immer weiter entfernten Familiengruppen. Würde sich diese Krankheit streng nach dem Fortpflanzungskonzept des "R"-Faktors ausbreiten, dann müsste jede Zunahme der Bevölkerungsdichte in einem Beobachtungsgebiet mit einer gewissen Zeitverzögerung überall zu mehr Infektionen führen.
Doch in Wirklichkeit ist der Anstieg der Infektionen nur in der Nähe zum Zentrum zu beobachten. Tiere im Umkreis der ursprünglich infizierten Gruppe zeigen Infektionen. Aber drei Kilometer von der zentralen infizierten Familiengruppe wird eine andere Beobachtung gemacht. Obwohl die Tierdichte und die Größe der Familien rund um die ursprüngliche Gruppe zunehmen, treten in drei Kilometer entfernten Gruppen lange Zeit keine Infektionen auf, trotz der Zunahme von Infektionen bis zu einem Kilometer vom Seuchenzentrum entfernt. Nach einer längeren Zeit treten plötzlich Infektionen in größerer Entfernung vom ursprünglichen Zentrum auf, nachdem die Anzahl der infizierten Tiere zuvor einen Schwellenwert überschritten hat. Und wie ist dieser Schwelleneffekt zu erklären? Familiengruppen von Wüstenmäusen haben nur begrenzten Kontakt miteinander. Manchmal geht ein Tier zu einer Nachbarfamilie, aber im Wesentlichen leben diese Familien isoliert. Damit eine Infektion von Familie zu Familie zu Familie überspringt, ist eine größere Dichte an infizierten Tieren erforderlich. Aber wenn statt zwei Infektionssprüngen zwanzig benötigt werden, dann kann nur eine sehr große infektiöse Masse in der Anfangsgruppe weitere Familien in größerer Entfernung infizieren, unabhängig von der Beobachtungsdauer.
Die Pest der Wüstenmäuse und der Covid-19 sind sich dadurch ähnlich, dass sie sich vor allem zwischen Kontaminationsherden ausbreiten (vor der Omikron-Variante). Es gibt natürlich einzelne Übertragungsketten, aber diese Ketten brechen manchmal ab. Covid-19 wird etwa zwei Tage vor und fünf Tage nach Auftreten der Symptome übertragen. In diesem Zeitfenster breitet sich die Krankheit aus, wenn genügend menschliche Begegnungen auftreten. Man kann sich vorstellen, dass Infektionen an einer Stelle entstehen und erkannt werden. Von dort aus breiten sich die Infektionen nicht weiter aus, weil die Anzahl Verbindungen mit anderen Menschen nicht groß genug ist. Verknüpfen jedoch mehrere individuelle Übertragungen verschiedene Epidemieherde, breiten sich die Ansteckungen schnell aus. Kontaminationen breiten sich also schnell aus, wenn die Anzahl der Übertragungsketten einen bestimmten Schwellenwert erreicht hat. Daher ist es notwendig den Effekt von Schwellenwerten zu kennen, um sich nicht fälschlicherweise in Sicherheit zu fühlen, dass die Epidemie unter Kontrolle ist. Eine scheinbar unter Kontrolle stehende Epidemie kann plötzlich außer Kontrolle geraten und drastische Maßnahmen wie einen allgemeinen Lockdown erfordern. Die Beschleunigung des Anstiegs der Zahl der Covid-19-Kontaminationen im Oktober 2020 überraschte die meisten Fachleute. Diese Ansteckungs-Beschleunigung kann durch den Effekt von Schwellenwerten erklärt werden.
In einer individualistischen Gesellschaft sind die Beziehungs- und Kontaktnetze zwischen Menschen verständlicherweise zu komplex, um sie exakt in ein epidemiologisches Modell zu integrieren. Aber auch wenn die Berechnungen der Schwelle große Unsicherheit aufweist, sollte man sich eines Schwelleneffekts in der Ausbreitung einer Epidemie bewusst sein. Wie Christian Drosten hat auch der französische Epidemiologe Martin Blachier immer wieder auf diesen Schwelleneffekt hingewiesen, ohne allerdings in den französischen Medien ausreichend Zeit zu erhalten, um den Effekt genau zu erklären.
Aus epidemiologischer Sicht könnten 2000-Watt-Stadtteile mit einer Familiengruppe von Wüstenmäusen verglichen werden. Bei einer schweren Epidemie könnten 2000-Watt Nachbarschaften ihre Beziehungen zum Rest der Gesellschaft stark einschränken, ohne sich individuell stark einschränken zu müssen. Im Jahre 2020 arbeiteten viele Bewohner noch außerhalb dieser Stadtteile, aber wenn die Entfernungen zwischen Arbeitsplätzen und Wohnungen im Zuge der Klimaneutralität schrumpfen wird, so wird die Mehrheit der Bewohner wahrscheinlich im eigenen Stadtteil arbeiten. Da diese Stadtteile meistens genug Arbeitsplätze bieten, werden nur wenige Menschen gezwungen sein, außerhalb des Stadtteils zu arbeiten. Wie schon erwähnt gibt es in den Stadtteilen kleine Geschäfte, Kinos, Restaurants, einen Friseur, Ärzte oder ein Gesundheitszentrum, einen Kindergarten und oft auch eine Schule. Im Epidemiefall können die Bewohner somit ein mehr oder weniger normales soziales Leben führen und gleichzeitig den Kontakt zu Außenstehenden deutlich reduzieren. Da Kindergärten und Schulen geöffnet bleiben, wird die Telearbeit der Eltern erleichtert. Da 2000-Watt-Quartiere oft auch Kleinstwohnungen oder Hotelzimmer zu vermieten haben, verfügen diese Nachbarschaften auch über die Mittel, die seltenen Fälle von Infizierten in der eigenen Nachbarschaft zu isolieren. Es ist menschlich wesentlich einfacher, eine infizierte Person in seiner Nachbarschaft zu isolieren, als ihn einem entfernten Hotel einzusperren..
Wenn eine Gesellschaft durch Stadtteile strukturiert ist, die im Seuchenfall mehr oder weniger autonom leben können, sollte die Anzahl Kontaminationen nie jene kritische Schwelle überschreiten, welche eine Epidemie explodieren lässt. Epidemien sollten daher ohne allgemeine Lockdowns unter Kontrolle gehalten werden können, nur die Kontakte zwischen den Quartieren müssten vorübergehend eingeschränkt werden. Da jeder Stadtteil auch in der Lage ist, die geringe Anzahl von mit der "Außenwelt" in Kontakt bleibenden Personen zu testen und zu isolieren, sollte sich eine Epidemie nicht wie im Oktober 2020 in Frankreich explosionsartig ausbreiten können.
Um die Epidemie zu bekämpfen, hat der Virologe Christian Drosten übrigens am 27. Oktober 2020 vorgeschlagen, „kleine soziale Blasen“ zu schaffen. Mitglieder einer "sozialen Blase" reduzieren ihren Kontakt zu Personen außerhalb der Gruppe stark, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Bei Bedarf könnten sich 2000-Watt-Stadtteile in eine „große soziale Blase“ verwandeln, eine Option, die einer individualistischen Gesellschaft nicht zur Verfügung steht. Das Leben kann dann innerhalb dieser "großen sozialen Blase" mehr oder weniger normal weitergehen. Restaurants, Kindergärten, Schulen und andere Dienstleistungen würden während einer Epidemie geöffnet bleiben, jedoch nur für Bewohner des Stadtteils. Eine individualistische Gesellschaft in „kleine soziale Blasen“ zu strukturieren scheint auch in Deutschland trotz der Ermahnung des Virologen nicht funktioniert zu haben. Die Verfügbarkeit vieler Dienstleistungen innerhalb eines Stadtteils verbessert auch das Leben während eines Lockdowns, da die Nachbarschaft nur den Kontakt nach außen reduziert.
Wie gezeigt, erfordert die Bekämpfung einer Epidemie immer gewisse Einschränkungen, die Einschränkungen innerhalb der 2000-Watt-Stadtteile sind nur weniger beeinträchtigend. Leider offenbarte die COVID-19 Pandemie auch unmögliche demagogische Freiheitsversprechen. Es ist ebenso wenig möglich, sich von den biologischen Gesetzmäßigkeiten eines Virus zu befreien wie von den physikalischen Gesetzmäßigkeiten der globalen Erwärmung. Die gemeinsame Nutzung von Objekten und Dienstleistungen in einem 2000-Watt Stadtteil reduziert nicht nur den Verbrauch "grauer Energie", was die globale Erwärmung verlangsamt, sondern gewährt auch Vorteile während einer Epidemie. Natürlich reduzieren die Lebensformen der 2000-Watt-Stadtteile die individuelle Freiheit ein wenig, aber ohne demagogische Freiheitsversprechen. Chesterton, ein englischer Theologe, beschreibt eine ziemlich verbreitete Verwirrung über den Begriff Freiheit so: „Sie können, wenn Sie möchten, einen Tiger aus seinem Käfig befreien; Sie können ihn aber nicht von seinen Streifen befreien. Wer ein Kamel vom Gewicht seines Buckels befreien will, riskiert es von seiner Wesensart als Kamel zu befreien“ [9].
Wir können von unseren eigenen sozialen Konstrukten befreit werden, nicht aber von biologischen und physikalischen Realitäten. Bedauerlicherweise sind viele Missverständnisse über Freiheit so weit verbreitet, dass sie zu einem Hindernis für die Verwirklichung einer demokratischen 2000-Watt-Gesellschaft werden (mehr darüber in Kapitel 7).
Auszug aus Kapitel 11.2
11. Maschinensklaven
[...]
11.2 Woran sparen Ökonomen?
Seit René Descartes wurden Tiere als seelenlose Dinge oder als maschinenähnliche Objekte betrachtet [10]. Heute wenden riesige Industriebetriebe diese Vorstellung mit kartesischer Präzision an. Kaum haben wir die menschliche Sklaverei abgeschafft, setzt die Gottheit Mammon seinen Machtmissbrauch in der Tierwelt fort. Mammon-Anbeter und kultureller Hochmut reduzierten einst Menschen aus anderen Kulturen zu Objekten und nutzten sie als Sklaven aus. Heute ist die Versachlichung des Menschen in unseren Konsumkulturen subtiler, aber unsere Kultur befindet sich auf einem schlüpfrigen Pfad, den der Psychologe Barry Schwarz einst wie folgt formulierte:
„Woran sparen Ökonomen? Diese Frage stellte der Ökonom D.H. Robertson vor 50 Jahren. Seine Antwort: „Der Ökonom spart an Liebe.“ Damit meinte er, dass für ein wettbewerbsorientiertes Marktsystem menschliche Begierde und Profitverlangen für das gesellschaftliche Zusammenleben ausreichen. Liebe ist nicht erforderlich. So können wir als Gesellschaft unter einem Marktsystem mit weniger Liebe auskommen als unter jedem anderen System. Der wettbewerbsorientierte Markt spart an Liebe" [11].
Unser Wirtschaftssystem ist für den Konsum von Objekten optimiert, vernachlässigt aber die Essenz des gesellschaftlichen Lebens, die Qualität menschlicher Beziehungen. Immer mehr Menschen leben allein oder als Alleinerziehende, ein Hinweis darauf, dass es den Menschen immer schwerer fällt, nachhaltige soziale Bindungen aufzubauen und zu pflegen. Ein Drittel der Wohnungen in Frankreich und Japan wird von nur einer Person bewohnt, in Deutschland sind es 40 % und in Schweden 50 %. Heute sind die Armen zwar weniger arm als früher, aber sie leiden mehr unter Einsamkeit. Laut einer 2018 durchgeführten Studie des französischen Meinungsforschungsinstituts BVA, fühlen sich 44 % der Franzosen regelmäßig einsam, 10 % der Bevölkerung befinden sich in einer Situation menschlicher Isolation und die meisten finden es schwierig, über ihre Einsamkeit zu sprechen [12]. Im Falle einer Epidemie mit seinen Lockdowns nimmt auch das psychische Leiden in der Bevölkerung exponentiell zu. Regelmäßige Einsamkeit hat aber Folgen für die Gesundheit der Menschen. Eine Studie in Schweden hat gezeigt, dass 50 % der Menschen ohne starke soziale Bindungen im Vergleich zu Menschen mit solchen Bindungen vorzeitig sterben. Häufige Einsamkeit hat den gleichen Effekt auf die Lebenserwartung wie das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag [13]. Darüber hinaus ist der immer größere Wohnungsbedarf mit der Notwendigkeit der Reduktion der grauen Energie nicht vereinbar. Die individualistische Konsumgesellschaft ist ein Auslaufmodell wenn die globale Erwärmung auf unter 2°C begrenzt werden soll.
Unter Beobachtung dieser gesellschaftlichen Entwicklung haben einige 2000-Watt Stadtteile zusätzlich zu den üblichen Wohnungen "Satellitenwohnungen" geschaffen. Jede "Satellitenwohnung" enthält eine zentrale Küche und ein gemeinsames Wohn-Esszimmer (Foto), das Zugang zu vier kleinen Privatwohnungen bietet. So sind ihre Bewohner weniger einsam, können sich Kosten teilen und sich gegenseitig helfen, sofern sie lernen friedlich und hilfsbereit zusammenzuleben.
Barry Schwartz beobachtet noch weitere unter Ökonomen häufig zu findende Konzepte:
„Mehrere meiner Kollegen der Wirtschaftswissenschaft sagen mir, dass es außerordentlich schwierig ist, das Konzept der Opportunitätskosten an beginnende Wirtschaftsstudenten zu vermitteln. Die Opportunitätskosten einer Aktivität sind der Gewinn, den wir erzielen würden, wenn wir anstatt mit Freunden Zeit zu verbringen gewinnbringenden Aktivitäten nachgehen. Wenn wir zum Beispiel an einem Abend an einem Projekt arbeiten und damit einen Bonus von 500 € erwirtschaften, dann betragen die Opportunitätskosten unserer Entscheidung, den Abend mit Freunden zu verbringen, 500 €".
Indem man alle Aktivitäten mit einem Preis belegt, verwandelt man alles in Konsumobjekte. Beziehungsnetzwerke sind wichtig im Leben und werden in der Post-Öl-Gesellschaft unverzichtbar sein. Doch durch das ständige Nachdenken über Geldwerte und Nutzen zerbrechen Beziehungen und wahre Freundschaften erhalten Seltenheitswert. Freundschaft verpufft, sobald sich eine Freundschaft "nicht mehr lohnt", zum Beispiel wenn ein Freund durch schwere Zeiten geht. Die gleiche Tendenz ist bei Paaren sichtbar, welchen ein gemeinsames Projekt und gegenseitiges Engagement fehlen. Wenn sich der Nutzen eine Beziehung reduziert so wird sie beendet. Die gegenseitigen Versprechen von Brautpaaren haben deshalb oft nicht mehr Wert als die Wahlversprechen mancher Politiker. So sagte zum Beispiel der ehemalig französische Präsident Jacques Chirac: "Meine Wahlversprechen sind nur verbindlich für diejenigen, welche an sie glauben." Das entspricht so ziemlich genau dem Ratschlag von Machiavelli an die Herrscher: "Ein weiser Fürst sollte sein Versprechen nicht erfüllen wenn es ihm schadet" (Der Fürst, Seite 54).
Menschliche Beziehungen brauchen mehr als das Versprechen kurzfristigen Gewinns wie bei börsenkotierten Unternehmen, sie brauchen eine gemeinsame Vision und Engagement. Mitmenschen durch die Brille der Ökonomen zu betrachten bedeutet sie zu Konsumprodukten zu reduzieren. Eine solche Gesellschaft ist besonders schlecht auf die kommenden Umwälzungen vorbereitet, wenn die Zahl der verfügbaren Maschinensklaven unvermeidlich sinkt wird, und ein vernünftiger Wohlstand nur erhalten werden kann, wenn Gegenstände und Dienstleistungen mit Nachbarn, wie in Kapitel 5 beschrieben, geteilt werden.
Außerdem sollte man bedenken, dass die meisten Massaker in Schulen, Universitäten und Einkaufszentren von einsamen jungen Männern ohne Netzwerk von Freunden verübt werden. Nach Ansicht von Präsident Obama kann die amerikanische Gesellschaft diese Massaker nicht effektiv bekämpfen, ohne die Einsamkeit und Unzufriedenheit der Killer mit ihren Mitmenschen zu verringern (Twitter, 23.03.2021).
Fussnoten
[1] ˄ Le Monde, entretien avec Edgar Morin : La crise due au coronavirus devrait ouvrir nos esprits, 20 avril 2020.
[2] ˄ Est Républicain, Sobriété énergétique, « Il nous manque un imaginaire », 28 avril 2021.
[3] ˄ José Goldemberg (Professor für Physik an der Universität von Sao Paulo) in "Basic Needs and Much More with One Kilowatt per Capita", 1985. Dies entspricht einem kontinuierlichen Verbrauch von 1000 Watt, 24 Stunden am Tag. Jedes Produkt braucht Energie, um hergestellt, verpackt und transportiert zu werden. Diese sogenannte "graue" Energie ist auch in diesen 1000 Watt enthalten.
[4] ˄ Die "graue" Energie eines Produktes fällt mehr ins Gewicht, wenn die Lebensdauer eines Produktes kürzer ist, und sie ist größer, wenn ein Gerät in China anstatt in Deutschland hergestellt wird, da die deutsche Industrie mit der gleichen Energiemenge (noch) mehr produziert als die chinesische Industrie. Details im Bericht "International Energy Efficiency Scorecard".
[5] ˄ Ein Beispiel unter vielen: Mehrere tausend deutsche Physiotherapeuten wenden eine Methode von Liebscher & Bracht an und können u.A. etwa 90% der Schulteroperationen und 80% der Knieprothesen vermeiden. Die Methode wird von den Krankenkassen anerkannt. Viele Operationen könnten daher vermieden werden, wäre die Methode europaweit besser bekannt. Dadurch würde das BSP sinken, ... und die Lebensqualität vieler würde sich verbessern. Wenn mehr in Vorbeugung von Krankeiten investiert wird geht das BSP zurück und die Lebensqualität steigt. Siehe auch: https://www.schmerzfrei-salzburg.at/liebscher-bracht-im-klinischen-alltag/
[6] ˄ IEA, Net Zero by 2050, A Roadmap for the Global Energy Sector, Seiten 67 und 68. Ausserdem IEA, average annual CO2 reductions from 2020 in the NZE, Excel Tabelle, Blatt "fig_02_04", years 2046-2050: Behaviour and avoided demand=6339Mt, Buildings efficiency=2112Mt, Industry efficiency=863Mt, Transport efficiency=1901Mt (1Mt = 1 000 000 Tonnen CO2). https://www.iea.org/data-and-statistics/data-product/net-zero-by-2050-scenario
Der 6. Bericht des Weltklimarats schreibt, dass Änderungen bei individuellen Entscheidungen, Lifestyle und nachfrageseitigen Maßnahmen 70 % für die Reduktion der Treibhausgase-Emissionen beitragen müssen.
[7] ˄ Coronavirus-Update no 54 von Christian Drosten auf Radio NDR, bespricht eine Studie veröffentlicht in Nature vom 31/07/2008, The abundance threshold for plague as a critical percolation phenomenon.
[8] ˄ Die Perkolation ist ein kritischer physikalischer Prozess, der für ein gegebenes System einen Übergang von einem Zustand in einen anderen beschreibt. Beispiel: Am Anfang kann man einem Kaffeefilter Wassertropfen hinzufügen, ohne dass Kaffee aus dem Filter fliesst. Solange das Kaffeepulver im Filter nicht mit Wasser gesättigt ist, fliesst kein Kaffee heraus. Nach einiger Zeit kommt dann für jeden Tropfen Wasser, der dem Filter hinzugefügt wird, auch ein Tropfen Kaffee aus dem Filter. Das System "Filter mit Kaffeepulver und Wasser" hat seinen Zustand geändert, nachdem die Wassersättigungsschwelle überschritten wurde.
[9] ˄ G.K. Chesterton, Orthodoxie, Seite 16
[10] ˄ René Descartes, Lettre au Marquis de Newcastle, Novembre 1646
[11] ˄ Barry Schwartz, The Costs of Living, zitiert von Os Guinness, Doing Good and Doing Well.
[12] ˄ https://www.bva-group.com/sondages/les-francais-et-la-solitude-sondage-bva-pour-astree/
[13] ˄ The Economist, The modern household, Nuclear Retreat, 5/12/2020
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Einführung in die direkte Demokratie
Inhalt dieser Seite:
- Erreichen der Klimaneutralität mit einer Demokratie
- Kollektive Intelligenz
- Grenzen zentraler Machtausübung
- Grenzen der direkten Demokratie
Vollständig theoretisiert wurde die Idee der direkten dezentralen Demokratie ursprünglich vom Franzosen Nicolas de Condorcet, welcher im Jahr 1793 als Parlamentsabgeordneter eine entsprechende Verfassung vorlegte. Sie wurde in Frankreich abgelehnt aber in ähnlicher Form seit 1850 in der Schweiz angewandt. Diese Seite bringt für Leser aus der Schweiz wenig Neues, sie ist vor allem für Länder mit zentralistischen politischen Strukturen ohne jegliche Elemente direkter Demokratie gedacht.
Artikel 30 des Verfassungsentwurfs der von Condorcet im Jahr 1793 geleiteten Konvention : "Die Republik hat aktive und sich persönlich engagierende Bürger zur Voraussetzung".
"Nie zuvor gab es eine Verfassung, in der die Gleichstellung so vollständig war und in der die Menschen ihre Rechte in so großem Maße gewahrt haben. [...] Diese Gleichstellung erlaubt dem Volk selbst, Rechte auszuüben, die bisher Delegierten vorbehalten waren, sie macht alle Bürger zu aktiven Gesetzgebern Frankreichs, die individuell über Gesetze oder den Widerruf von Gesetzen abstimmen. Es ist die demokratischste Verfassung, die einer großen Nation gegeben werden kann." Frank Alengry; Condorcet, guide de la Révolution française; Slatkine Reprints, Genève, 1971
"Der Souverän, der keine andere Kraft als Gesetzgebungsbefugnis hat, handelt nur durch Gesetze; und da die Gesetze nur authentische Handlungen des allgemeinen Willens sind, kann der Souverän nur handeln, wenn das Volk versammelt ist. Menschenansammlungen, wird man sagen, was für eine Chimäre! Es ist heute ein Wunschtraum, aber vor zweitausend Jahre war es das nicht. Hat sich etwa die Natur der Menschen seither geändert?" Jean-Jacques Rousseau, Aus dem Gesellschaftsvertrag, Buch III, Kapitel XII
Erreichen der Klimaneutralität mit einer Demokratie
Die Autoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt zeigen in ihrem Buch "How democracies die" wie Demokratien von innen zerstört werden können. Sie sind bei weitem nicht die Einzigen, welche das Ende der Demokratien ankündigen. Die Reduzierung des Bruttosozialprodukts (BSP) zur Erreichung der Klimaneutralität wird nicht gegen den Willen der Bürger erfolgen ohne ernsthafte Krisen auszulösen. Wenn wir die notwendigen Änderungen unserer Industriegesellschaften nicht schnell genug realisieren, so würden letztlich schwere Krisen das BSP reduzieren, gegen den Willen aller Beteiligten. Das Erreichen der Klimaneutralität in einer Demokratie in nur 30 Jahren ist daher eine große Herausforderung. Mehrere Schweizer Volksabstimmungen haben gezeigt, dass die Bevölkerung energischer Energiesparprogramme zustimmt (2017) und die Entwicklung zur 2000-Watt-Gesellschaft in lokalen Referenden annimmt (2008). Das Beispiel Frankreich zeigt, dass schon kleinere Änderungen wie die Erhöhung der Benzinsteuer heftig bekämpft werden, wenn sie von einer zentralistischen, volksfernen und abgehobenen Bürokratie aufgezwungen werden.
Die Werbung in allen Medien erinnert uns etwa 20 Mal am Tag daran, dass wir Konsumenten sind. In demokratischen Ländern wie Frankreich werden wir alle zwei Jahre daran erinnert, dass wir auch Stimmbürger sind. Dieses Verhältnis von 1 zu 10 000 sollte sich möglichst bald ändern, wenn wir gemeinsam einen erfolgreichen Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft in einer Demokratie schaffen wollen.
Demokratie braucht Bürger, die sich engagieren und sich an gemeinschaftlichen Projekten beteiligen.
Die individualistische Konsumenten-Mentalität wirkt langfristig zersetzend für die Demokratie und führt eher zu demokratieverachtenden Regierungen von Demagogen, welche die Unzufriedenheit der Bürger sowohl schüren als auch ausnutzen, so ganz nach dem Motto Divide et impera, Teile und Herrsche.In der Menschheitsgeschichte hat keine Demokratie mehr als 250 Jahre gedauert, bevor sie wieder in eine Form der Tyrannei zurückfiel. Ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten und anderer Länder außerhalb Europas wären die europäischen Demokratien vor 80 Jahren gestorben. Demgegenüber hat die direkte Demokratie in der Schweiz eine lange Geschichte. Die von Volksversammlungen regierten Berggemeinden der Zentralschweiz hatten ab dem 13. Jahrhundert eine Politik des demokratischen Dialogs entwickelt, welcher ihre Unabhängigkeit vom habsburgischen Reich garantierte. Ab dem 14. Jahrhundert übernahmen Städte wie Luzern und Zürich die Demokratie dieser Bergkantone. Keine andere Form der Demokratie hat sich in der Menschheitsgeschichte so lange gehalten.
Kollektive Intelligenz
Verschiedene Forscher haben die Bedeutung der kollektiven Intelligenz für Wissenschaftler aufgezeigt, zum Beispiel Isabell Stengers in ihrem Buch "Une autre science est possible!" (Eine andere Wissenschaft ist möglich). James Surowiecki zeigt in seinem Buch „The Wisdom of Crowds“ die Vorteile kollektiver Intelligenz für Wirtschaft, Forschung, Finanzmärkte und Demokratien [1]. Die kollektive Intelligenz liefert klar bessere Ergebnisse als die individuelle Intelligenz, wenn sie vier Bedingungen erfüllt:
- Meinungsvielfalt (jeder muss über persönliche Informationen verfügen, auch wenn es sich nur um eine exzentrische Interpretation bekannter Tatsachen handelt).
- Unabhängigkeit (die Meinungen der Menschen werden nicht durch die Meinungen ihrer Umgebung fest bestimmt).
- Dezentralisierung (Menschen können sich spezialisieren und auf lokales Wissen zurückgreifen).
- Aggregation (es gibt einen Mechanismus, um persönliche Urteile in eine kollektive Entscheidung umzuwandeln).
Auf der Wettseite Polymarket konnte jeder auf die US-Präsidentschaftswahlen wetten und zwischen D. Trump und K. Harris wählen. Die Prognosen des The Economist gehören üblicherweise zu den zuverlässigsten, aber die an der Website für politische Wetten Polymarket teilnehmende Bevölkerung hat den Ausgang der Wahl wesentlich besser vorhergesagt als Meinungsforscherinstitute und Experten.
Die schweizerische direkte Demokratie erfüllt diese vier Bedingungen. Von Demagogen leicht manipulierbare Massen erfüllen keines dieser vier Kriterien. Gustave le Bon beschreibt in seinem Buch "Psychologie der Massen", wie Demagogen Volksmassen manipulieren können. Goebels hat Gustave le Bon studiert und dessen Methoden angewandt. Diese Art von Volksmassen erfüllt allerdings keines der vier Kriterien der kollektiven Intelligenz und ist deshalb auch kein Argument gegen die direkte Demokratie.
Die direkte Demokratie organisiert regelmäßig vernünftig kontroverse Debatten, wie man sie von der Wissenschaft erwartet. Außerdem beteiligen sich verschiedenste Fachleute an der Ausarbeitung von Argumenten für oder gegen eine Volksinitiative, sowohl mit der Zivilgesellschaft als auch mit dem Parlament. Meistens gewinnen nämlich die besten Argumente an der Wahlurne. Einige Politiker befürchten, dass die direkte Demokratie zu einer Art "Gelbwesten-Diktatur" verkommt. Diese Befürchtung ist unbegründet; die Schweiz ist ein Beweis des Gegenteils, da die Wahlbeteiligung mit dem Niveau der Ausbildung zunimmt. Das Risiko ist nicht die Diktatur einer Minderheit, sondern die einer Mehrheit, ein der Demokratie innewohnendes Risiko. Die Schweizer Demokratie hat dieses Problem jedoch auch während der Religionskriege im 16. Jahrhundert überwunden. Wenn sich die Einwohner innerhalb eines Kantons aufgrund von Sprachbarrieren (Kanton Bern im 20. Jahrhundert) oder aufgrund religiöser Unterschiede (Katholiken vs. Protestanten im 16. Jahrhundert) nicht verstehen, dann kann die Bevölkerung für die Schaffung eines neuen Kantons abstimmen. Darüber hinaus müssen Volksabstimmungen sowohl die Mehrheit des Volkes als auch die Mehrheit der Kantone erhalten, um angenommen zu werden. So wird vermieden, dass einige Großstätte dem Rest des Landes ihren Willen diktieren.
Die direkte Demokratie schwächt auch einige Kritikpunkte der repräsentativen Demokratie ab. Lobbys können einige Parlamentarier beeinflussen oder "kaufen", es ist ungleich schwieriger, 30 % der Bevölkerung zu "kaufen". Außerdem wagt es keine Schweizer Partei, grobe Lügen zu verbreiten, um eine Abstimmung zu gewinnen, wie z. B. die beim Brexit-Referendum verbreiteten Lügen. Eine solche Lügen-Partei wäre über längere Zeit nicht mehr glaubwürdig. Mit durchschnittlich acht Abstimmungen pro Jahr, verteilt auf drei Wochenenden, versucht jede politische Partei langfristig glaubwürdig zu sein. Vor jeder Abstimmung organisieren das öffentliche Fernsehen und Radio Debatten, bei denen niemand dauernd an die früheren Lügen erinnert werden möchte.
Abstimmungen über Bürgerinitiativen können der Demokratie eines Landes gut tun, vor allem in Ländern, in welchen nur eine Person entscheidet (der Präsident der Republik) und Millionen diese Entscheidungen ausführen, dabei murren und dagegen demonstrieren. In der Schweiz hat eine Kritik nicht mehr Wert als der Gegenvorschlag zur Lösung der kritisierten Sache. In der Schweiz hören die Berufskritiker schnell mal die Antwort "Mache doch eine Bürgerinitiative!" oder "Was schlagen Sie vor?". Demagogen werden so in die weniger bequeme Position gezwungen, Vorschläge zu machen, und diese Vorschläge können dann ebenfalls kritisiert werden.
Grenzen zentraler Machtausübung
Manchmal verhält sich ein Bürgermeister oder der Ministerpräsident wie ein lokaler "Jupiter" (oberste Gottheit der Römer, ein vom französischen Präsidenten verwendeter Begriff) und gibt viel Geld für prestigeträchtige Projekte aus. Es ist daher auch notwendig, dass die Bezahlenden über hohe Ausgaben abstimmen können. Gewählte Amtsträger werden automatisch vernünftiger, wenn sie einen Rückschlag an der Wahlurne riskieren weil gewisse hohe Ausgaben als unnötig oder unverhältnismäßig angesehen werden. Die Bürgerinitiative sollte daher in der Lage sein, zwei Dinge zu ermöglichen:
1) Eine Volksabstimmung für ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz zu verlangen und über von Stadträten und Landesministerpräsidenten verabschiedete einmalige hohe Ausgaben ein Referendum einzufordern.
2) Auf Bundesebene sollten Bürgerinitiativen allgemeine Rahmengesetze vorschlagen und zur Abstimmung bringen können. Wenn das Rahmengesetz vom Volk angenommen wurde, legt danach das Parlament die Einzelheiten des Gesetzes fest.
Um die politischen Kulturen der Schweizer und deutschen Staatsbürger zu vergleichen, stelle ich als Beispiele drei vonstatten gegangene Schweizer Volksinitiativen vor. Für jede Initiative werden der vorgeschlagene Gesetzestext und die Argumente für und gegen die Gesetzesvorlage gegeben, so wie sie jeder Schweizer per Post zugeschickt erhielt. Zunächst kann im Menü "Abstimmungen" die gewünschte Abstimmung ausgewählt werden. Nach Kenntnisnahme des Gesetzentwurfs und der Argumente ist es möglich, "Ich stimme dagegen", "Ich stimme dafür" und "Ich habe keine Meinung" auszuwählen und mit einem Klick auf "Abstimmen!" die Wahl zu bestätigen. Wenn es auf dieser Webseite genügend Wähler gibt, werden die Abstimmungsresultate mit denjenigen in der Schweiz verglichen und die Presse und die Regierung darüber informiert.
Grenzen der direkten Demokratie
In der Schweiz ist es nicht möglich, einen Politiker oder eine andere öffentliche Person per Referendum abzuwählen. Es ist nur möglich, Rahmengesetze für ein Referendum vorzuschlagen, welche das Parlament auf die Tagesordnung stellen muss. Für jedes Referendum über Volksinitiativen kann die Regierung einen weniger extremen Gegenvorschlag unterbreiten und gleichzeitig abstimmen lassen. Das vorgeschlagene Rahmengesetz wird vor der Volksabstimmung auf Verfassungsmäßigkeit geprüft und die Organisatoren müssen dann innerhalb von 18 Monaten 100 000 gültige Unterschriften sammeln. Unterschriften und Adressen werden danach überprüft, um festzustellen, ob alle Unterzeichner das Stimmrecht haben. Diese Schwelle von 100 000 Unterschriften verhindert etwa jede zweite Bürgerinitiative. Wenn das Organisationskomitee der Bürgerinitiative die Fristen und die Anzahl der Unterschriften eingehalten hat, muss der Gesetzentwurf einem Referendum unterzogen werden, auch wenn Regierung und Parlament dagegen sind. Aber die Regierung und das Parlament können einen eigenen weniger extremen Gegenvorschlag auch zur Abstimmung vorschlagen.
Das Buch beschreibt verschiedene Schweizer Abstimmungen zu Umweltschutz und Tierschutz. Deshalb enthält diese Website drei andere Referenden mit unterschiedliche komplexen Argumenten.
Die drei Menüs enthalten zunächst den Gesetzestext jeder Volksinitiative. Anschließend werden die Argumente für und gegen das vorgeschlagene Gesetz angegeben. Normalerweise stammen die Argumente für den Gesetzesvorschlag vom Organisationskomitee der Initiative, die Argumente dagegen meistens von der Regierung und der Parlamentsmehrheit. Der Inhalt dieser Webseite wurde in Papierformat an jeden wahlberechtigten Bürger gesendet. Ein Blick auf die Argumente wird zeigen, dass, wer nicht gerne nachdenkt, nur selten wählen wird, was für die Demokratie kein Nachteil ist und die Regierung beruhigen sollte. Die Abstimmungsbeteiligung an komplexen Themen übersteigt selten 35 %, aber es ist für eine Lobby immer noch schwieriger, ein Viertel der Bevölkerung zu beeinflussen als ein paar Parlamentarier.
Normalerweise geht es in der Abstimmungsdebatte darum, jedes Argument abzuwägen, d. h. jedem Argument Gewicht zu verleihen. Einfach zu behaupten, dass die Argumente anderer falsch sind, hat kaum Wirkung. Manchmal basieren Argumente auf falschen Daten, und wenn die Daten korrigiert werden, wird das Gewicht des Arguments erheblich reduziert. Die erste Debatte sollte es ermöglichen, sich auf die Daten zu einigen. Wenn dann danach jedes Argument gewichtet wird, so findet man normalerweise die Philosophie der Person, die das Argument vorbringt. Der lebenslange Umgang mit dieser Art von Debatte bringt die Bürger näher an wissenschaftliche Methoden heran und reduziert den Anteil der Bevölkerung, welcher unplausiblen Verschwörungstheorien anheimfällt.
Zu Beginn der "Gelbwesten"-Aufstände, bevor diese in den großen städtischen Zentren gewalttätig wurden, suchte ich das Gespräch mit einigen Vertretern ihrer Gruppen. Dabei habe ich nur ruhige und vernünftige Debatten erlebt, sicherlich nicht besonders wortgewandt, aber vernünftiger als bei vielen Studententreffen an Universitäten. Nicht wenige Studenten aus den privilegierten Klassen waren während des 20. Jahrhunderts lange von totalitären Ideologien angezogen (von der Sowjetunion und dem Maoismus, von Enver Hodja und Pol Pot sowie heute von den Salafisten), während die heutigen Gelbwesten mehr direkte Demokratie forderten. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Demokratie der Schweizer Kantone durch Bergbauern erkämpft, nicht von den privilegierten Klassen der Stadt Zürich. Die herrschenden und privilegierten Klassen Zürichs zogen die deutschen Fürsten den demokratischen Kantonen der Bergbauern vor, die den Ursprung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bildeten. Es sollte deshalb nicht überraschen, dass diejenigen, die unter dem Machtmissbrauch der Mächtigen am meisten leiden, auch am lautesten mehr direkte Demokratie fordern.
Fussnoten
[1] ˄ James Surowiecki, The Wisdom of Crowds, Seite 10
Was nicht nachhaltig ist, hat auf Dauer nur eine Option: unter gehen.
Inhalt dieser Webseite:
- Herausforderungen für die Klimaneutralität bis 2050
- Qualitätswachstum gegen Mengenwachstum
- Digitaler Energie- und Datenwahnsinn
- Politischer Diskurs und Wirklichkeit
- Wie kann der Energieverbrauch stark reduziert werden?
- Ethische Werte einer demokratischen 2000-Watt-Gesellschaft
- Herausforderung Klimaneutralität mit einer Demokratie bewältigen
- Photos von 2000-Watt Stadtteilen
- Vortrag in Wetzikon - Zürich: Klimaneutrale Energie- und Gesellschaftswende (YouTube)
- Vortrag Energie- und Gesellschaftswende, gesellschaftliche Selbstbeschränkung oder Klimakatastrophen (YouTube)
- Vortrag am Kirchentag 2023: Energie- und Gesellschaftswende gegen beliebte Illusionen (YouTube)
Herausforderungen für die Klimaneutralität bis 2050
Das seit Anfang Januar 2023 im Buchhandel erhälltiche Buch versucht zu zeigen, wie unsere modernen Industriegesellschaften den Übergang zu einer Post-Öl-Gesellschaft und zur Klimaneutralität ohne allzu viele Krisen schaffen könnten. Die Herausforderungen sind zahlreich und die Probleme gigantisch, aber in den letzten 15 Jahren haben mehrere "2000-Watt-Stadtteile" (in der Schweiz "2000-Watt-Areale" genannt) einen viel versprechenden Weg für eine Post-Öl-Gesellschaft aufgezeigt. Ein ständiger durchschnittlicher Verbrauch von 2000 Watt (48 kWh pro Tag) pro Person gilt gemäß Berechnungen der ETH Zürich als nachhaltig und kann durch erneuerbare Energien erzeugt werden. Der derzeitige Energieverbrauch von 5000 bis 10000 Watt, je nach Industrienation, ist eindeutig nicht nachhaltig. Selbst wenn die Investitionen in den Energiesektor ab sofort um den Faktor 3 erhöht würden, würde die EU in den nächsten 30 Jahren nur etwa ein Drittel der fossilen Energien durch erneuerbare Energie ersetzen können.[1] Flössen die um 300 % erhöhten Investitionen ausschließlich in erneuerbare Energien und deren Infrastrukturen und würden keine Kernkraftwerke geschlossen, so könnten wir die 2000-Watt-Gesellschaft und die CO2-Neutralität bis zum Jahr 2050 schaffen.[2] Dazu müssten wir jedoch den Energieverbrauch auf weniger als die Hälfte des aktuellen Verbrauchs reduzieren. Unsere Berechnungen und Schätzungen zeigen, dass die von der EU angestrebte CO2-Neutralität in etwa dem Energieverbrauch einer "2000-Watt-Gesellschaft" entsprechen könnte.
Nachfolgende Graphik zeigt die Entwicklung der zu ersetzenden fossilen Primärenergien, umgewandelt in Terawattstunden (TWh):
Die 135 000 TWh Primärenergie entsprechen etwa 100 000 TWh elektrischer direkt verwendbarer Sekundärenergie. Das Buch zeigt, dass es sich die Menschheit nicht leisten kann, alle fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Um alle fossilen Energien zu ersetzten, müsste die Menschheit gemäß optimistischen Schätzungen etwa 260 000 Milliarden Euro investieren. Dieser Betrag entspricht etwa dem 350-Fachen der jährlichen Investitionen der Erdöl- und Erdgas-Industrie. Das bedeutet, die Menschheit müsste in 30 Jahren so viel in den Energiesektor investieren wie die Erdölindustrie es in 350 Jahren täte. Die 260 000 Milliarden entsprechen auch fast dem Dreifachen aller Staatsschulden und Unternehmensobligationen der Welt im Jahre 2020.
Download & Links" heruntergeladen werden.
Um alle fossilen Energien durch Erneuerbare zu ersetzen, müsste Europa, optimistisch gerechnet, mindestens 60 000 Milliarden Euro investieren. In Folge der COVID-19-Pandemie konnten die EU-Staaten und die europäische Zentralbank mit einer einmaligen Kraftanstrengung etwa 2000 Milliarden über einen Zeitraum von 3 Jahren aufbringen. Investitionen von 60 000 Milliarden über 30 Jahre ausschließlich für die Energiewende liegen außerhalb des Machbaren. Die Kostenberechnungen berücksichtigen bereits eine stetige Reduktion der Investitionskosten für erneuerbare Energien und Energiespeicherung. Die im Buch dargestellten Methoden, Berechnungen und Schätzungen können im Detail in einer Excel-Tabelle im Menü "Aufgrund der hohen Investitionen, um alle fossilen Energien durch Erneuerbare zu ersetzen, sollte kein in Betrieb befindliches AKW aus ideologischen Gründen abgeschaltet werden, bevor die Klimaneutralität erreicht ist! Bei radioaktivem Atommüll wissen wir nicht, ob die Endlagerung in tiefen Erdschichten in 1000 Jahren möglicherweise unvorhergesehenen Problemen verursachen wird. Bei jeder Megatonne ausgestossenem CO2 von Gas- oder Kohlekraftwerken sind wir aber sicher, dass sie in den nächsten 1000 Jahren zu einer globalen Erwärmung führen wird. Wie alle Oxide ist Kohlendioxid ein äußerst stabiles Molekül. Es dauert etwa 10 000 Jahre, bis 90 % einer heute ausgestoßenen Megatonne CO2 aus der Atmosphäre verschwunden sind.
Bei einer Verdreifachung der Investitionen in den Energiesektor wird die Europäische Union (EU) in den nächsten 30 Jahren etwa ein Drittel ihrer fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzen können. Dadurch können wir bis 2050 die Klima-Neutralität schaffen. Das Buch zeigt, dass die 2000-Watt-Gesellschaft ein vernünftiges erreichbares Ziel ist und unter gewissen Bedinungen erlaubt, angenehm komfortabel zu leben.
Qualitätswachstum gegen Mengenwachstum
Ein Drittel aller fossilen Brennstoffe kann durch erneuerbare Energien ersetzt werden, der Rest muss durch Reduzierung des Energiebedarfs, Verbesserung der Energieeffizienz und Reduzierung des Kaufs von energiehungrigen Objekten und Dienstleistungen erledigt werden.Qualitätswachstum bedeutet deshalb Reduktion der für die Fertigung und den Unterhalt eines Objekts benötigten Energie. Ein Audi hat nur dann eine bessere Qualität als ein Citroën, wenn die Lebensdauer des Audis wesentlich länger ist bevor er wieder zurückgebaut wird. Zusätzliche elektronische Gedgets haben deshalb nichts mit Qualität zu tun, ganz im Gegenteil!
Das Buch zeigt auch, dass es eine starke Korrelation zwischen Energieverbrauch und Bruttosozialprodukt (BSP) gibt, da unser Einkommen stark von der Anzahl der für uns arbeitenden Maschinen abhängt, was besonders in automatisierten Fertigungsanlagen und der Materialindustrie gut sichtbar ist. Daher wird der starke Rückgang des Energieverbrauchs automatisch das BSP und damit das durchschnittliche individuelle Einkommen verringern. Jede starke Zunahme der Energiekosten endete in der Vergangenheit in einer Rezession. Dies ist einer der Gründe, warum der Übergang in die Post-Öl Gesellschaft steigende Spannungen innerhalb unserer Gesellschaften verursachen könnte. Wenn sich unsere demokratischen Gesellschaften deshalb nicht anders organisieren, so zum Beispiel wie die 2000-Watt Stadtteile, könnten unsere Demokratien an diesen Konflikten zu Grunde gehen und unseren Wohlstand arg beeinträchtigen. Die finanziellen Herausforderungen sind derart, dass wir beim Übergang zur Post-Öl Gesellschaft weiterhin Kernkraftwerke brauchen und bestehende Kernkraftwerke solange am Laufen halten sollten, wie ihre Sicherheit gewährleistet werden kann. Die Stilllegung von Kernkraftwerken aus ideologischen Gründen zeigt die Unkenntnis der finanziellen und physikalischen Herausforderungen der Klimaneutralität.
Die durch technische Fortschritte erreichbare Steigerung der Energieeffizienz kann nur einen kleinen Teil zum Erreichen der Energieeinsparungen beitragen. Die meisten technischen Fortschritte im Bereich der Energieeffizienz gehen nämlich durch Änderungen der Lebensgewohnheiten wieder verloren. Gemäß Untersuchungen der Internationalen Energieagentur (IEA, Energy efficiency in 2019) müsste die Menschheit während der nächsten 30 Jahre jährlich 5% Energieeffizienzsteigerungen erzielen, um dadurch die CO2-Neutralität zu schaffen. Betrachtet über die letzten 20 Jahre hat die Menschheit aber im Durchschnitt nur Effizienzsteigerungen von 1,5% geschafft, und das mit den am einfachsten zu realisierenden Effizienzsteigerungen. Das Buch geht auch diesem Problem auf den Grund und macht Lösungsvorschläge. Technische Lösungen alleine reichen bei weitem nicht.
Trotz ihres stark reduzierten Energieverbrauchs haben die fortgeschrittensten 2000-Watt-Stadtteile einen guten Lebensstandard, obwohl viele Bewohner ihre individuelle Kaufkraft freiwillig reduziert haben.
Investitionen, um alle fossilen Energien durch erneuerbare oder CO2-neutrale Energien zu ersetzen, optimistische Schätzung:
Investition Produktion CO2 neutrale Energie, Welt : $ 240 000 Milliarden
Investition Produktion CO2 neutrale Energie, Europa: $ 55 000 Milliarden
Kumulierte Schulden aller Staaten und Unternehmen: $ 100 000 Milliarden
Die obigen Schätzungen [3] basieren auf dem optimistischen Kostensenkungs-Szenario des NREL (National Renewable Energy Laboratory). Das optimistische Szenario geht davon aus, dass es in den nächsten 30 Jahren keine Rohstoffknappheit für Metalle geben wird und dass die Energiekosten für die Herstellung von Anlagen erneuerbarer Energien nicht steigen. Die Hälfte der Kosten für Solarmodule und Batterien wird jedoch durch den Rohstoffpreis bestimmt und die IEA prognostiziert eine ernsthafte Rohstoffknappheit wichtiger Metalle zwischen 2025 und 2030. Die obigen Schätzungen sind daher wirklich optimistisch. Beim pessimistischen Szenario müssten die oben genannten Beträge verdoppelt werden. Da selbst das optimistische Szenario Beträge jenseits des sozialverträglichen Investitionsvolumens ergibt, ist ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel notwendig, um eine globale Erwärmung von über 4 °C zu vermeiden, nämlich wenn alle fossilen Energien verbraucht würden!
Digitaler Energie- und Datenwahnsinn
Das Buch zeigt auch, dass die 5G-Telefonie und die Vielzahl der dadurch ermöglichten neuen Internetfunktionen den Stromverbrauch stark erhöhen werden. Nach Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) und einer Studie von Anders Andrae, Ingenieur bei Huawei, wird die Zunahme des Stromverbrauchs größer sein als die Zunahme der Stromproduktion durch erneuerbare Energien [4]. Somit werden die zusätzlichen erneuerbaren Energien die fossilen Brennstoffe nicht ersetzen, sie werden nicht einmal in der Lage sein, den zusätzlichen Strom für die neuen Internet- und 5G-Telephon-Funktionen zu liefern. Schon bevor sich die 5G Funktionen und die Metaverse verbreitet haben, verbrauchen alle sich in der Stadt Frankfurt befindenden Rechenzentren zusammen 1.6 Mal mehr Strom als die 400 000 Haushalte der Stadt (FAZ, Serverfarmen in der Stadt, 17/10/2021).
Download-Menü in einer Excel-Datei zu finden. KI vom Typ Chat-GPT4 wird die weltweite Arbeitsproduktivität nur geringfügig steigern, da die Produktivitätssteigerungen von Schriftstellern und Journalisten durch die zunehmende Zahl von Faktenprüfern zunichte gemacht werden, die zur Aufrechterhaltung der Demokratie erforderlich sind. Viele Berufe wie Anwälte und Richter verwenden schon länger ihre eigenen, aktualisierten KI-basierten Expertensysteme und benötigen weder die veralteten Inhalte von Chat-GPT noch die vorurteilsbehafteten "maschinen-internen Prepromps" die Chat-GPT benötigt, um kriminelle Aktivitäten nicht zu begünstigen.
Nehmen wir weiter an, dass die Zahl der Suchanfragen, die mit Systemen künstlicher Intelligenz (KI) wie Chat-GPT4 durchgeführt werden, eines Tages gleich gross sein wird wie die von Suchmaschinen wie Google, Baidu oder Qwant. In diesem Fall würden die Rechenzentren von Chat-GPT4 und seinen Konkurrenten die Energie von 20 Atomkraftwerken verbrauchen. Details sind imProjekten der virtuellen Realität, den sogenannten „Metaversen“, werden den Energiebedarf noch schneller ansteigen lassen. Ein Metaverse ist eine virtuelle Kopie der physischen Realität, beispielsweise von Straßen, Landschaften, Diskotheken, Geschäften und Museen. Die Verbindung zu den "Metaversen" wird hauptsächlich über 3D-Virtual-Reality-Headsets geschehen, welche Bewegungen, Bilder und Worte von Menschen erfassen und an Datenzentren senden. Ein "Metaversum" ermöglicht es Freunden, jeder zu Hause mit einem Virtual-Reality-Headset auf dem Kopf, gemeinsam virtuelle Spaziergänge zu unternehmen, so als würden sie zusammen in einer Stadt auf Google Street-View spazieren gehen oder das Museum Louvre in Paris virtuell zusammen besuchen. An all diesen Orten können sie andere Menschen virtuell treffen, welche sich auch zufällig virtuell im Louvre befinden. Wie im echten Leben kann man auch im Metaversum für echte Euros teure virtuelle Uhren oder Handtaschen kaufen, um die anderen virtuellen Besucher damit zu beeindrucken. Diese Metaversum Projekte werden unvorstellbare Datenmengen produzieren und den Strombedarf in unzähligen neuen Rechenzentren entsprechend erhöhen. Ganz zu schweigen vom Verlust des letzten bisschens Privatsphäre, selbst in unseren eigenen vier Wänden, durch abhören unserer Gespräche und Analyse unserer Blicke und Gesten in vielen verschiedenen virtuellen Umgebungen. Der reale Tourismus wird wegen der Metaverse auch nicht zurück gehen, genauso wie die vielen schönen Dokumentarfilme den Tourismus nicht reduziert sondern gefördert haben.
Da die Mikroelektronik in den nächsten Jahren an die Grenzen der Physik stoßen wird (Ende des Mooreschen Gesetzes), wird sich die Energieeffizienz der Datenzentren nur noch marginal verbessern. Der Stromverbrauch wird dann gleich wie die Datenmenge exponentiell zunehmen.
Diese Entwicklungen stehen im Widerspruch zur Ankündigung der Regierungen, im Jahre 2050 die CO2-Neutralität erreichen zu wollen. Leider ignorieren zu viele politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger den Parameter "Energie", obwohl er die Grundlage unserer industriellen Zivilisation darstellt. Wenn wir in unseren politischen, wirtschaftlichen und einkaufs- Entscheidungen dem Faktor Energie nicht höchste Priorität geben, so werden wir bei einer katastrophalen Erderwärmung landen, da wir noch erhebliche Reserven an Kohle und Erdgas haben.
Wenn sich die reichen Länder entscheiden, ihren durchschnittlichen Dauerenergieverbrauch von etwa 6000 Watt beizubehalten und Investitionen in kohlenstofffreie Energieversorger von mehr als 10 % des BSP zu tätigen, so werden sie weniger reiche Länder nie davon überzeugen können, auf fossile Brennstoffe zu verzichten.. Ausserdem sinken die Kosten fossiler Brennstoffe, wenn reiche Länder immer weniger davon verbrauchen. Um den CO2 Ausstoß ihrer Wirtschaft zu reduzieren, brauchen Entwicklungsländer Hilfe von reichen Ländern, da reiche Länder viele Produkte aus Ländern mit niedrigen Arbeitskosten importieren. Indonesien zum Beispiel hat sich verpflichtet, die CO2-Emissionen bis 2030 um 41 % zu reduzieren, wenn es Hilfe von reichen Ländern erhält, aber nur um 29 % ohne solche Hilfe.
Länder wie die Schweiz, Frankreich und Deutschland sind zur Einsicht gekommen, dass der Energieverbrauch stark reduziert werden muss, was folgende Graphiken darstellen:
Wie man mit wesentlich weniger Energie gut leben kann zeigen die 2000-Watt Stadtteile, welche auch Beispiele für eine globale Energiegerechtigkeit sind.
Wie kann der Energieverbrauch stark reduziert werden?
Mehrere 2000-Watt-Stadtteile haben ihren Energieverbrauch erheblich gesenkt, vor allem wenn sie von Wohnungsgenossenschaften verwaltet werden. Ohne Berücksichtigung der grauen Energie [5] für die staatlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen haben einige Stadtteile das Ziel eines dauerhaften Verbrauchs von 2000 Watt schon gut in Sicht. Sie verbrauchen im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt etwas mehr als ein Drittel der Energie. Das Buch beschreibt Methoden, mit denen diese Stadtteile das Ziel eines Energieverbrauchs von 2000 Watt erreichen werden. Eine solche Reduzierung des Energieverbrauchs ist auch die beste Antwort auf die globale Erwärmung und die immer größer werdenden sozialen Ungleichheiten.
Die Gebäude der 2000-Watt Stadtteile verbrauchen für Heizung, Kühlung und Lüftung sehr wenig Energie (10 bis 12 kWh/m²/Jahr). Die Baukosten liegen nur 10% über dem Schweizer Durchschnitt. Alles ist auf geringen Energieverbrauch optimiert, angefangen bei der Wahl der Baustoffe, Architektur, Lüftung, Raumoptimierung etc. Das Buch erklärt die wichtigsten Punkte. Ein Fachbuch für Architekten und andere an technischen Lösungen interessierte Personnen illustriert und erklärt die Details, die einen so extrem niedrigen Energieverbrauch ermöglichen. Es ist im Download-Menü verfügbar.
Der Energieverbrauch der Gebäude ist extrem gering und wird laufend optimiert. Eine erhebliche Reduzierung des Energieverbrauches bedeutet aber auch eine Reduzierung der Kaufkraft. Um einen guten Lebensstandard
aufrechtzuerhalten, teilen sich die Bewohner der 2000-Watt-Stadtteile Objekte und Infrastrukturen wie Werkstätten, Nähateliers, Waschräume, 1-Zimmerwohnungen für Gäste, Tagungs- und Partyräume, Sauna, Bibliothek, Musikraum für lautstarke Musikinstrumente, aber auch Autos und Elektrofahrräder, welche Eigentum der Genossenschaft sind. Die Stadtteile erleichtern auch das Teilen von Kinderkleidung und Spielzeugen, z.B. wenn eine Familie etwas nicht mehr braucht. Sie teilen hochwertige Objekte und Infrastrukturen, die nicht oft verwendet werden und eine lange Lebensdauer haben.Angenommen, 32 Familien eines 2000-Watt-Stadtteils teilen sich 4 große professionelle Waschmaschinen mit einer Lebensdauer von 25 Jahren. Dem gegenüber steht eine Waschmaschine pro Familie mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von 7 Jahren (durchschnittliche Lebensdauer in Frankreich). Die graue Energie zur Herstellung der 4 professionellen Maschinen entspricht nur 7% der Energie, die zur Herstellung der 32 Waschmaschinen, einer pro Familie, erforderlich ist. Alleine für das Objekt Waschmaschine ist der Verbrauch an grauer Energie der Bewohner eines 2000-Watt-Stadtteils 14 mal kleiner als bei der übrigen Bevölkerung. Bei Objekten, welche noch seltener verwendet werden, zum Beispiel Heimwerker-Werkzeuge und Nähmaschinen, ist die Einsparung grauer Energie noch größer. Das Buch entwickelt alle Aspekte der 2000-Watt-Stadtteile, die Energieeinsparungen ermöglichen ohne die Lebensqualität zu reduzieren, vorausgesetzt, dass gute Beziehungen zu den Nachbarn aufgebaut werden können. Weitere Aspekte betreffen die graue Energie der Ernährung, der Gebäude, der Mobilität, aber auch das soziale Leben im Falle einer Epidemie sowie die Beziehungen zwischen Großstadtbevölkerung und Landbevölkerung. Bei der Mobilität ist der Energieverbrauch der beschriebenen 2000-Watt-Stadtteile auch besonders gering. Wenn allerdings finanzielle Einsparungen beim Wohnen und der Mobilität anderswo ausgegeben werden, so wird die Gesamtenergiebilanz wieder schlechter. Deshalb werden auch Überlegungen angestellt und Vorschläge gemacht, wie sich der Einzelne von der Macht des Geldes befreien kann. Einige 2000-Watt-Stadtteile experimentieren auch auf diesem Gebiet.
Wie die im Buch beschriebenen 2000-Watt-Stadtteile zeigen, werden wir einen guten Lebensstandard nur halten können wenn u.A. viele der nur selten gebrauchten Objekte in der Nachbarschaft geteilt werden. Außerdem muss auch ein Umdenken weg von der individualistischen Konsumgesellschaft zu mehr Gemeinschaftssinn und Nächstenliebe stattfinden. Eine Misstrauensgesellschaft wird den Übergang zur Post-Öl-Wirtschaft weder friedlich noch ohne großen Wohlstandsverlust schaffen. Das Buch geht auch diesen Themenbereich relativ ausführlich an.
Die ökologische Belastung einer Person oder einer Bevölkerung ist weitgehend proportional zur verbrauchten Energie. Deshalb ist der Energieverbrauch ein praktischer Parameter für die persönliche Standortbestimmung. Nachfolgend der durchschnittliche Primärenergieverbrauch pro Einwohner, ohne die graue Energie der staatlichen Infrastrukturen:
Schweizer Durchschnitt total : 6000 Watt Wohnung: 2000 Watt
Fortschrittlichste 2000-Watt-Areale: 2800 Watt Wohnung: 600 Watt
Verursacht möglicherweise die 2000-Watt-Gesellschaft eine für die Gesellschaft unerträgliche Arbeitslosigkeit? Bleiben wir beim obigen Beispiel der Waschmaschinen. Die Fertigung einer kleinen Anzahl von Maschinen (im obigen Beispiel 8-mal weniger) rechtfertigt keine stark automatisierte Fertigung, es wird daher mehr Handarbeit benötigt. Die Herstellung sehr hochwertiger Produkte mit sehr langer Lebensdauer erfordert gut ausgebildete Mitarbeiter und lokale Reparaturwerkstätte. Die Produktion von hochwertigen Maschinen in kleineren Stückzahlen spart also Energie und schafft Arbeitsplätze. Hochwertige Maschinen sind zwar teurer, da sich aber mehrere Haushalte eine Maschine teilen werden die Kosten geteilt. Wenn sich zudem die soziale Gerechtigkeit vermehrt am Energieverbrauch orientiert, nähern sich automatisch die Gehälter der Hochqualifizierten und der Geringqualifizierten an, da materielle Extravaganzen je länger desto weniger Symbole für gesellschaftlichen Erfolg sein werden, sondern als Zeichen der Zerstörung des Planeten gedeutet werden. Die Reichen werden jedoch weiterhin in der Lage sein, handgefertigte mechanische Luxusuhren zu kaufen, da die Herstellung solcher Uhren viel weniger Energie verbraucht als die Herstellung elektronischer Apple-Watchs. Auch handgefertigte Luxus-Handtaschen von Gucci und Hermès werden sich die Reichen in der 2000-Watt-Gesellschaft weiter gönnen können, im Gegensatz zu Reisen im Privatjet.
2000-Watt Stadtteile sind kein Allheilmittel für alle menschlichen Probleme. Das Buch beschreibt einige in diesen Nachbarschaften aufgetreten Probleme und die implementierten Lösungen. Sicher werden in Zukunft noch andere Probleme auftreten. Das Buch diskutiert deshalb gesellschaftliche Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, Gemeinschaftssinn und die Einstellung zum Geld, denn je nach Verständnis dieser Grundwerte wird das Zusammenleben in der Post-Öl-Gesellschaft mehr oder weniger konfliktträchtig werden. Unsere individualistischen Gesellschaften werden neu lernen müssen, zusammenzuleben, Konflikte zwischen Nachbarn friedlich zu bewältigen und Zusammenarbeit zu fördern. Nur der Überfluss an billiger Energie ermöglichte uns einen individualistischen Lebensstil, ohne sich um irgend jemanden zu kümmern. Nur viel billige Energie erlaubt zu leben wie "ein Fels, der keinen Schmerz spürt und eine Insel, die niemals weint", gemäß einem Lied von Simon und Garfunkel.
Politischer Diskurs und Wirklichkeit
Im Jahre 1992, am ersten Weltklimagipfel in Rio de Janeiro, beschlossen die meisten Länder der Welt, die Treibhausgas-Emissionen [6] zu reduzieren. Bei einem weiteren Weltklimagipfel in Kyoto, Japan, wurde 1997 entschieden, den Kampf gegen die Erderwärmung zu beschleunigen. 2009 beschlossen die Länder in Kopenhagen, die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen, und 2015 in Paris, die Erderwärmung unter 2°C zu halten.
Aber seit die Menschheit 1992 beschlossen hat, Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, hat sie diese Emissionen verdoppelt! Es ist daher offensichtlich, dass die materialistische Philosophie, die sowohl in China als auch im Westen wie anderswo vorherrscht, nicht in der Lage ist, sich selbst zu begrenzen, bevor sie an die Grenzen des Planeten stößt. Mit voller Wachstums-Geschwindigkeit gegen diese Grenzen zu stoßen würde immer schlimmere Klimakatastrophen verursachen und dabei Hungersnöte und Kriege auslösen . Es ist daher wichtig, über menschliche Werte und Prioritäten nachzudenken, welche eine Selbstbegrenzung ermutigen und dennoch wissenschaftlichen Fortschritt zulassen. Selbstbegrenzung bedeutet, freiwillig seine Kaufkraft und Machtausübung über Natur und Mitmenschen zu begrenzen. Die vorherrschenden Werte der letzten 100 Jahre sollten ändern. Wir brauchen eine Philosophie, die menschliche Beziehungen einer immer größeren Menge an materiellen Gütern vorzieht, Qualität der Quantität vorzieht, Gelassenheit mehr schätzt als Geschwindigkeitserlebnisse und in der Natur mehr sieht als ein Mittel, um sich zu bereichern.
[7] als der Aufbau der 2000-Watt-Gesellschaft. Zum Vergleich: Zwischen der letzten großen Eiszeit vor 20 000 Jahren und heute beträgt der Temperaturunterschied 4° C bis 5° C,… und der Meeresspiegel lag 120 Meter tiefer, Skandinavien unter 2000 Meter Eis, Berlin unter 200 Meter Eis und in Paris herrschte Permafrost. Eine globale Erwärmung von 3° C würde ganze Regionen des Planeten für einen Teil des Jahres unbewohnbar machen (Fig.7). Der Mensch überlebt nicht mit Temperaturen über 35 °C und einer Luftfeuchtigkeit über 90 % (oder 39° C und 50 %), was in vielen Küstenmetropolen wie Jakarta und Caracas und Teilen in Pakistans, Indiens und des Sudans der Fall sein wird.
Gemäß dem wahrscheinlichsten Szenario von Bloombergs New Energy Outlook (NEO 2020) führt uns das aktuelle System logischerweise in Richtung einer globalen Erwärmung von 3.3 °C bis 2100, verglichen mit einer Erwärmung von 1.2 °C in den letzten 150 Jahre. In diesem Szenario und angesichts der Trägheit des Klimasystems wird sich die globale Erwärmung wahrscheinlich bei etwa 4 °C stabilisieren, was zu immer extremeren Wetterbedingungen führt. Die Kosten der Anpassung an extreme Wetterereignisse werden viel höher ausfallenDer jüngste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) ist ebenso alarmierend. Selbst wenn die Staaten ihre auf der COP21 in Paris eingegangenen Verpflichtungen einhalten würden, was derzeit nicht der Fall ist, würde sich der Planet bis 2100 um 3° C erwärmen. Ein Video der Zeitschrift The Economist gibt einen Überblick über die Folgen einer solchen Erwärmung (in Englisch).
Auf Grund der Covid-19-Epidemie kündigten im Jahre 2020 viele Staaten an, insgesamt 16 000 Milliarden US-Dollar in die wirtschaftliche Erholung investieren zu wollen. In einem Sonderbericht schlug die IEA vor, ein Viertel dieses riesigen Betrags für Investitionen in erneuerbare Energien zu verwenden. Im Juli 2021 stellt die IEA dann fest, dass nur 2 % der 16 000 Milliarden für erneuerbare Energien prognostiziert werden und dass die CO2-Emissionen 2023 voraussichtlich einen neuen Rekord erreichen werden.[8] Laut dem Pariser Abkommen von 2015 sollten die CO2-Emissionen bis 2025 um 20 % sinken, stattdessen wird die Menschheit wahrscheinlich einen neuen CO2-Emissionsrekord aufstellen. Daher ist es wichtig, über menschliche Werte nachzudenken, die dazu anregen, sich freiwillig einzuschränken und gleichzeitig Raum für wissenschaftlichen Fortschritt lassen.
Das Teilen von Infrastrukturen und Objekten erfordert andere Prioritäten und Werte der Einwohner. Die individualistische Konsumkultur ist dazu nicht in der Lage; sie konzentriert sich zu sehr auf die Rechte jedes Individuums und auf die Steigerung der Kaufkraft. Ein Kanzler- oder Präsidentschafts-Kandidat, welcher für die nächsten 50 Jahre einen stetigen individuellen Einkommensverlust verspricht, würde sicher nicht gewählt. Die individualistische Konsumkultur vergöttert die individuelle Kaufkraft zu sehr. Das Buch entwickelt Wege, um diese gnadenlose Gottheit loszuwerden.
Wenn man sich die Entwicklung der Industrienationen seit dem Weltklimagipfel in Rio 1992 ansieht, kann man sich schwer vorstellen, wie eine rein materialistische Philosophie mit Tendenz zum Transhumanismus eine Gesellschaft hervorbringen könnte, die menschliche Beziehungen und Gelassenheit mehr schätzt als Dinge, Maschinen, Rechenzentren und energieverschwenderische transhumanistische Vorrichtungen.
Diesbezüglich schrieb Jacques Ellul, französischer Rechtshistoriker und Soziologe, in seinem Buch "Freiheit denken und leben" (S.253): "Der Mensch wird ausschließlich als Konsument und Produzent betrachtet. Dies ist in der kommunistischen materialistischen Doktrin genauso wie zum Beispiel in der amerikanischen materialistischen Praxis. In beiden Fällen ist der Mensch ein Produktionsinstrument. Und sein ganzes Leben ist auf dieses eine Ziel ausgerichtet. ... Wir kümmern uns nicht um den Menschen als Mensch, sondern als Produzent, und das, was uns an ihm interessiert, unterscheidet sich nicht besonders stark vom Interesse, welches wir für die besten Maschinen haben."
Ethische Werte einer demokratischen 2000-Watt-Gesellschaft
Angesichts der Diskrepanz zwischen offiziellen Reden und Wirklichkeit, drängt es sich auf über menschliche Werte nachzudenken, welche zur Selbstbeschränkung anregen und gleichzeitig Raum für wissenschaftlichen Fortschritt zu lassen. Selbstbeschränkung bedeutet eine freiwillige Einschränkung der Kaufkraft und dadurch der Ausübung von Macht über die Natur und andere Menschen. Jacques Ellul nennt diese freiwillige Selbstbeschränkung "Ethik der Nicht-Macht". Die Reduktion menschlicher Beziehungen auf den "Willen zur Macht" (Nietzsche) ist unvereinbar mit menschlichen Beziehungen, wie sie für einen angenehmen Lebensstandard in der 2000-Watt-Gesellschaft notwendig sind. Im Gegensatz zur Entwicklung der Gesellschaft seit einem halben Jahrhundert brauchen wir eine Philosophie, die menschliche Beziehungen über die Zunahme an materiellen Gütern stellt, Qualität der Quantität vorzieht, Gelassenheit mehr schätzt als Geschwindigkeitsrausch und in der Natur mehr sieht als ein Mittel, um sich zu bereichern.
Die fortgeschrittensten 2000-Watt-Stadtteile verlassen sich auf freie und kreative Bewohner, welche zusammen Lösungen suchen, um mit geringerem Energieverbrauch einen angenehmen Lebensstandard zu bewahren. Diese Stadtteile reduzieren die Ungleichheit der Lebensformen der Bewohner, weil jedem Bewohner etwa die gleiche Mengen Energie zur Verfügung steht. Diese neue Form der Gleichheit erträgt dennoch größere Unterschiede im Vermögen, ohne allerdings das Zusammenleben zu belasten. Weil die Bewohner der Stadtteile viele Objekte und Dienstleistungen teilen, ist gegenseitiges Vertrauen unabdingbar. Diese Werte sind für die 2000-Watt-Gesellschaft wichtig um den Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft friedlich zu bewältigen. Andernfalls riskieren wir ziviles Chaos gefolgt von staatlicher Unterdrückung.
Mehrere 2000-Watt-Stadtteile stehen im Widerspruch zur individualistischen Konsumgesellschaft, welche ein erfülltes Leben hauptsächlich durch den Konsum von Prestige verheißenden Inhalten verspricht. Eine rein materialistische Philosophie verbreitet aber sich seit etwa 50 Jahren, entwickelt sich langsam in Richtung Transhumanismus, und hat ein ganz besonderes Verständnis von Würde und Freiheit. Diese materialistische zu Transhumanismus neigende Philosophie ...
- reduziert die Freiheit des Menschen auf diejenige von "biologischen Automaten" vor gefüllten Supermarktregalen und den freien Willen auf eine psychologische Illusion (B.F. Skinner, G. Roth, J.P. Changeux);
- betrachtet die Gleichheit der Menschen als eine Illusion, die ihren Ursprung in jüdischen und christlichen Mythen hat (Y. Harari) und bevorzugt einen Egalitarismus, dessen Ideal geklont identische "neue" Menschen wären (A. Huxley);
- betrachtet Gemeinschaftssinn als anachronistische Albernheit, da die menschlichen Beziehungen hauptsächlich durch Machtverhältnisse bestimmt werden (F. Nietzsche).
Die wirksamste Täuschung unseres sozioökonomischen Systems besteht darin, uns glauben zu machen, dass die persönliche Freiheit uns einlädt, zu tun was wir wollen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken und ohne moralische Überlegungen. Dies ermöglicht es Werbetreibenden, unsere Wünsche zu manipulieren, TV-Sendern "verfügbare Gehirnzeit zu verkaufen" (CEO des französischen Senders TF1 über die Werbezeit des Senders) und Ökonomen zu sagen, "die Haushaltsmoral ist gut", weil sich die Gesellschaft im Konsumrausch befindet. Diese "Freiheit" ist eine Täuschung, weil sie leicht manipulierbar ist. Diese "Freiheit der Wünsche" erfordert ein unbegrenztes Wachstum des Konsums und ist nicht nachhaltig, sie wird wahrscheinlich immer ernstere ökologische und soziale Probleme mit sich bringen. Diese Art von "Freiheit" und die damit verbundene soziale Unruhe könnten als Vorwand verwendet werden, um die Freiheit aller einzuschränken. Ein IEA-Bericht vom Mai 2021 zeigt die Bedeutung von Verhaltensänderungen (Überblick in Kapitel 4), um Netto-Null-Kohlenstoffemissionen zu erreichen. Kapitel 7 des Buches stellt Überlegungen über eine Art von Freiheit an, welche von der materialistischen Konsum-Propaganda befreit.
Die materialistische Philosophie reduziert fast alles auf seinen wirtschaftlichen Nutzen und will soziale Probleme hauptsächlich durch Wirtschaftswachstum lösen. Die Marktwirtschaft entwickelt sich zur Marktgesellschaft. Kommt noch dazu, dass die jüngste aus den USA eingeführte Ideologie die Gesellschaft in eine Vielzahl unversöhnlicher identitärer Gruppen aufteilt und somit den identitären Narzissmus fördert, als ob der bereits auf die Spitze getriebene Individualismus noch nicht ausreichen würde, um den Gemeinschaftssinn zu zerstören. Eine langfristige Verbreitung solcher Theorien beeinflusst die Gesellschaft. Heute sind die großen urbanen Zentren in den Vereinigten Staaten wesentlich stärker segregiert und verfeindet als 1990 [9]. Gegenseitiges Missverständnis und Hass zwischen den identitären Gruppen nimmt stetig zu. Vor 30 Jahren war die Segregation in amerikanischen Städten hauptsächlich ethnischer Natur, heute ist die Segregation auch politisch (Republikaner und Demokraten leben immer weniger in den gleichen Vierteln), religiös und sozial. Der amerikanische Historiker Robert Putnam zeigte, dass je multikultureller eine amerikanische Stadt ist, desto geringer wird das Gemeinwohl bewertet, weil jeder versucht ist, hauptsächlich sein Wohl und das seiner identitären Gruppe zu verteidigen. Somit nehmen gegenseitiges Missverständnis, Misstrauen und emotionale Polarisierung zwischen den Gemeinschaften ständig zu [10]. Robert Putnam sieht den Beginn dieses Prozesses in den 1980er Jahren: Seitdem versuchen die Menschen nicht mehr die Gesellschaft zu verbessern, sondern denken nur noch daran, Vorteile für ihr Leben und das ihrer näheren Gemeinschaft zu erkämpfen.
Mehrere Studien haben ausserdem gezeigt, dass etwa 70 % der amerikanischen Studenten mehr narzisstische Züge und weniger Empathie aufweisen als noch vor 30 Jahren [11]. Solche Züge fördern zwar das Konsumverhalten, sind aber nicht nachhaltig. Das Buch macht konkrete Vorschläge für eine andere Philosophie, welche das wohlwollende Miteinander fördert und die Schwächsten unterstützt. Die anstehenden Probleme können wir nur gemeinsam lösen.
Die fortschrittlichsten 2000-Watt-Stadtteile können die Bewohner auswählen, mit dem Ziel einer kulturellen, wirtschaftlichen und generationenübergreifenden soziale Vielfalt. Solche Nachbarschaften bieten einen Rahmen, der Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zur Zusammenarbeit ermutigt, um ein gemeinsames Ziel (2000 Watt) zu erreichen. Das Buch beschreibt gemeinsame Arbeitsgruppen und die sozialen und wirtschaftlichen Vorteilen dieser Stadtteil. Da die Armen ihren Lebensstandard nicht drastisch reduzieren können, ohne in Hungerrevolten getrieben zu werden, sind sozial vielfältige Stadtteile viel widerstandsfähiger als segregierte und zersplitterte Städte. Denn entweder werden wir die 2000-Watt-Gesellschaft gemeinsam durch die Kultivierung von Gemeinschaftssinn schaffen, oder wir werden gemeinsam an einer starken globalen Erwärmung und deren schwerwiegenden Krisen scheitern. Die Krisen werden vermutlich auch unsere demokratischen Gesellschaften zerreißen, eine in den USA sichtbare Entwicklung.
Während einer Debatte im Juni 2020 über die Einführung der 5G-Telefonie kritisierte der französische Präsident die grüne Partei und verglich sie mit den Nachfolgende Fotos zeigen aber, dass das Leben in den 2000-Watt-Stadtteilen gut ist und nichts mit dem Lebensstil der Amish zu tun hat, obwohl die Amish, die wir in den Vereinigten Staaten getroffen haben, in ihrem Lebensstil weitaus glücklicher zu sein scheinen als viele Menschen in der individualistischen Konsumgesellschaft der Vereinigten Staaten. Im Jahr 1965 verließen etwa 40 % der jungen Amish ihre Gemeinden endgültig, heute sind es weniger als 5 %. Das Leben in unseren individualistischen Konsumgesellschaften scheint heute für Junge Amish nicht mehr so attraktiv zu sein.
Amish, welche die meisten technischen Fortschritte ablehnen.Herausforderung Klimaneutralität mit einer Demokratie bewältigen
Von internen Konflikten zerrissene Gesellschaften enden oft in einer politischen Diktatur oder einem vollwertigen Überwachungsstaat. Seit 50 Jahren konzentriert sich die politische und
wirtschaftliche Macht immer mehr in den Händen weniger. Dieser Prozess diskreditiert zunehmend unsere Demokratien. Gleichzeitig nehmen die Spannungen zwischen den großen städtischen Zentren und dem Rest des Landes zu, vor allem in Ländern wie Frankreich, Grossbritanien und den USA, was übrigens ein 5000 Jahre altes Problem ist und im Buch untersucht wird. Die französische "Gelbwesten"-Revolte und die Trump-Wähler sind Ausdruck dieser tiefen Spannungen. Inspiriert von mehreren 2000-Watt-Stadtteilen, zeigt das Buch, wie diese Spannungen zwischen den Großstädten und dem Rest des Landes in eine fruchtbare Zusammenarbeit umgewandelt werden können. Diese Zusammenarbeit ist wichtig, um die Ernährung in der Post-Öl-Gesellschaft nachhaltig zu garantieren. Außerdem ist die energieintensive Landwirtschaft nicht nachhaltig, nur schon weil die Produktion von Kunstdünger ohne Erdgas zu viel Energie braucht. Darüber hinaus können andere Formen der Landwirtschaft große Mengen an CO2 im Boden speichern. Eine nachhaltige Landwirtschaft ist in der Post-Öl-Gesellschaft nicht nur für die Ernährung wichtig, sie kann auch wesentlich zur Bekämpfung der globalen Erwärmung beitragen. Dazu müssten aber die großstädtischen Eliten das Problem verstehen und die ländlichen Gemeinschaften besser behandeln. In vielen Ländern empfinden ländliche Gemeinschaften und Landwirte die großstädtischen Eliten wie eine feindlich gesinnte imperiale Macht, was zu den genannten Spannung führt. Auch in diesem Bereich werden die Konsequenzen unserer Entscheidungen der nächsten Jahre von historischer Bedeutung sein. Das Buch widmet diesem wichtigen Thema ein Kapitel. Mehrere sich in großen städtischen Zentren befindende 2000-Watt-Stadtteile sind auch in diesem Bereich vorbildhaft.Eine weitere Hypothese des Buches ist, dass eine direkte Demokratie, wie sie in der Schweiz seit 700 Jahren praktiziert wird, eine Kultur mit vernünftigen demokratischen Debatten fördert. Eine solche demokratische Debatier-Kultur ist auch ein Bollwerk gegen demagogische Machtergreifung. Direkte Demokratie hilft den Bürgern über viele manchmal komplexe Themen nachzudenken, vernünftige Debatten zu führen und sich am gemeinsamen Projekt eines Landes beteiligt zu fühlen. Die Einwohner denken in der Regel langfristig in politischen und ökologischen Fragen, da ihnen das Leben ihrer Kinder und Enkelkinder am Herzen liegt. Politiker neigen eher zu einer kurzfristigen Sichtweise, die selten die Dauer ihres politischen Mandats überschreitet. Es sollte daher nicht überraschen, dass gebildete Bürger für Veränderungen stimmen, die eine zentrale und bürgerferne Regierung nicht wagt durchzusetzen. Aber hätte eine direkte Demokratie auch eine positive pädagogische und kulturelle Wirkung auf Menschen außerhalb der Schweiz, und ohne 700 Jahre warten zu müssen ? Das Menü "Abstimmungen" versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden.
In der Geschichte der Menschheit hat außerhalb der Schweiz keine Demokratie das Alter von 300 Jahren erreicht. Ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten wären die europäischen Demokratien vor 80 Jahren gestorben. Heute ist die 250 Jahre alte amerikanische Demokratie schwer krank. In Bezug auf die Risiken für die Demokratie warnte uns der Philosoph Emmanuel Levinas mit den Worten "Freiheit besteht darin zu wissen, dass Freiheit in Gefahr ist" (Levinas , Totalität und Unendlichkeit).
Die 2000-Watt-Stadtteile zeigen, dass der Übergang zur Post-Öl-Gesellschaft größtenteils das Ergebnis eines demokratischen Prozesses der Bewohner dieser Stadtteile ist. Die Erhöhung der Benzinsteuer um einige Cent führte in Frankreich zur "Gelbwesten"-Revolte und 9 Monaten Hass und Gewalt. Nicht wenige Trump-Wähler wollten die Kohleindustrie retten. Das Buch entwickelt deshalb auch die These, dass die tief greifenden Veränderungen für einen erfolgreichen Übergang zur 2000-Watt-Gesellschaft leichter durch eine direkte Demokratie und Volksreferenden umgesetzt werden können als durch einen zentralistischen hierarchischen Staatsapparat, der meistens mit gewalttätigen Demos und Streiks bekämpft und dessen Gesetze von der Bevölkerung nach Möglichkeit umgangen werden. So haben seit dem Jahr 2008 die Einwohner mehrere Städte in Referenden mit deutlicher Mehrheit für die Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft gestimmt. Außerdem haben die Schweizer 2017 klar für ein neues Energiegesetz gestimmt, welches bis zum Jahr 2035 Energieeinsparungen von 43% vorschreibt. Selbst Demagogen-Parteien können solche klare Volksentscheide nicht mehr bekämpfen. Um solche Entscheidungen zu treffen braucht die Bevölkerung aber praktische Modelle. Die Entwickler des Konzepts der ETH Zürich hatten die 2000-Watt-Stadtteile u.A. auch dafür vorgesehen.
Die direkte Demokratie hilft Bürgern über viele manchmal komplexe Themen nachzudenken, vernünftige Debatten zu führen und sich am gemeinsamen Projekt eines Landes beteiligt zu fühlen. Die Einwohner denken in wichtigen Gebieten meistens langfristig, da ihnen das Leben ihrer Kinder und Enkel am Herzen liegt. Politiker neigen zu einer kurzfristigen Sichtweise, die selten die Dauer ihres politischen Mandats überschreitet. Es sollte daher nicht überraschen, dass gebildete Bürger für Veränderungen stimmen, die eine zentrale und volksferne Regierung nicht durchzusetzen wagt.
Könnte das Konzept der direkten Demokratie auch in Frankreich und Deutschland funktionieren? Die Webseiten im Menü Abstimmungen versuchen die Frage zu beantworten.
Wie im Buch beschrieben, erlaubt diese Website, an drei Volksabstimmungen teilzunehmen, die in den letzten 20 Jahren in der Schweiz stattgefunden haben. Texte und Argumente sind im Menü "Abstimmungen" verfügbar. Eine andere der Hypothesen des Buches lautet, dass die meisten Europäer angesichts gleicher Argumente ähnlich wie die Schweizer abstimmen würden. Mit den angebotenen Abstimmungen soll diese Hypothese überprüft werden. Es werden drei unterschiedlich komplexe Gesetzesvorschläge zur virtuellen Abstimmung angeboten.
Wenn die Anzahl der Wähler außerhalb der Schweiz auf dieser Website groß genug ist, werden die Regierung und die Medien über die Ergebnisse informiert.
Photos von 2000-Watt Stadtteilen
Das obige Gebäude gehört nicht zu einem 2000-Watt-Stadtteil. Die Bewohner haben aber die Volksabstimmung über die 2000-Watt-Gesellschaft ernst genommen und einen Vertrag an die Gebäudewand geheftet. Das Gebäude befindet sich an der Badenerstrasse 380, 8004 Zürich.
Vertrag: Die Bewohner und Bewohnerinnen dieses Gebäudes verpflichten sich den gesamten stetigen Energieverbrauch auf maximal 2000 Watt pro Person zu reduzieren. Bei Vertragsbruch hat der Rest der Welt einen Anspruch auf sozialen Ausgleich oder Schadenersatz.
Gerichtsstand ist Zürich. Schweizer Recht ist anwendbar. Unterschrieben: Die Bewohner und Bewohnerinnen dieses Gebäudes.
Fußnoten
[1] ˄ IEA, World Energy Investment 2019, Seite 19: Im Jahre 2018 wurden in Europa 140 Milliarden in den gesamten Energiesektor investiert: Erdöl-, Erdgas- und Kohle- Industrie, Elektrizitätswerke, erneuerbaren Energien und Atomkraft. Außerdem wurden 70 Milliarden Euro in die Verbesserung der Energieeffizienz investiert, beispielsweise durch die Verbesserung der Gebäudedämmung. Europa müsste in den nächsten 30 Jahren 400 Milliarden pro Jahr investieren, um ein Drittel der fossilen Energie durch erneuerbare Energien zu ersetzen und damit die CO2 freien Energiequellen für die 2000-Watt-Gesellschaft bereitzustellen.
[2] ˄ Nachdem der Autor die Kostenrechnung für die Energiewende und die Klimaneutralität beendet hatte, sah er sich angesichts der fürchterlich hohen Kosten gezwungen, seine eigene 40 Jahre andauernde Anti-Kernenergie-Rhetorik zu begraben. Das Ziel des Buches besteht nicht darin, eine ideale Theorie wortgewandt zu verteidigen, sondern praktische Lösungsvorschläge zu machen. Es sollten aber auch keine neuen Atomkraftwerke wegen der hohen Investitions- und Langzeitkosten gebaut werden. Zum Thema Kernenergie werden im Buch mehrere Optionen diskutiert.
[3] ˄ Der Decarbonisation-Tracker der Swiss Re veranschlagt den weltweiten zusätzlichen Investitionsbedarf auf $ 271 000 Milliarden, ohne Investitionen in fossile Energien aber inklusive Anpassungen in Industrie, Verkehrsinfrastrukturen und Immobilien. NZZ, 9.11.2022, Wie viel Kohle fürs Klima? Die zu produzierende Energiemenge, Energiespeicherkapazitäten und Energieeinsparungen und werden nicht erwähnt, genausowenig wie Hypothesen betreffs Wirtschaftswachstum und Energieeffizienz. Die Zahlen sind deshalb nicht überprüfbar, im Gegensatz zu unserem Buch "Praktisch und Nachhaltig", welches alle Hypothesen erwähnt und erklärt und alle Berechnungen und verwendete Quellen offenlegt.
[4] ˄ Total Consumer Power Consumption Forecast, par Anders Andrae, page 20. Diese Studie von Anders Andrae korrigiert eine ältere Studie von Prof. Peter Corcoran von der National University of Ireland, welche noch höhere Energieverbrauchszunahmen vorsah: Emerging Trends in Electricity Consumption for consumer ICT. Es wird davon ausgegangen, dass das Mooresche Gesetz um etwa 2025 auslaufen wird, da die Investitionen in neue Produktionsstätten für elektronische Schaltungen in den letzten 8 Jahren exponentiell gestiegen sind. Die Investitionen für neue Produktionslinien von 5-nm-Strukturen beliefen sich bereits im Jahr 2022 auf rund 50 Milliarden Dollar und wahrscheinlich werden weltweit nur noch ein oder zwei Unternehmen in der Lage sein, Schaltungen mit 3-nm- und 2-nm-Strukturen herzustellen. Da die Miniaturisierung an die Grenzen der Physik stösst wird die Energieeffizienz von Rechenzentren nach 2026 nur noch marginal zunehmen. Der Stromverbrauch wird deshalb fast proportional zur Datenmenge ansteigen.
[5] ˄ Graue Energie: Es handelt sich um die Energiemenge, welche zur Herstellung von Geräten und Gegenständen erforderlich ist, beginnend mit der Gewinnung der Erze bis zur Verpackung des fertigen Produkts. Die meisten europäischen Länder importieren viel graue Energie, weil sie eine negative Handelsbilanz haben. Sie exportieren vor allem Dienstleistungen und importieren fertig hergestellte Produkte. Die Fertigung von Objekten in grossen Stückzahlen verbraucht viel mehr Energie als deren Design in einem Designbüro.
[6] ˄ Alle Moleküle mit mindestens drei Atomen (H2O, CO2, CH4, ...) absorbieren die Wärmeabstrahlung der Erde und strahlen danach einen Teil der Energie auf die Erde zurück. Dieses physikalische Prinzip wird Treibhausgas Effekt genannt. Wie alle Oxide sind auch die CO2 Moleküle sehr stabil und die Erderwärmung ist deshalb ein quasi irreversibler Prozess. Wenn ein Teil der Erdabstrahlung von diesen Gasen wieder zurück auf die Erde gestrahlt wird, so kühlen die oberen Schichten der Atmosphäre etwas ab. Das führt zu größeren vertikalen Temperaturunterschieden. Diese Temperaturunterschiede führen zu stärkeren vertikalen Strömungen und daher zu wesentlich stärkeren tropischen Stürmen.
[7] ˄ Beispiele: Laut dem Immobilienmaklerunternehmen Redfin befinden sich seit 2019 Immobilien im Wert von 2000 Milliarden US-Dollar allein in Kalifornien in von Waldbränden gefährdeten Gebieten. Seit den Überschwemmungen im Jahr 2019 befinden sich in der texanischen Stadt Houston 220 000 Häuser in hochwassergefährdeten Gebieten. In der australischen Stadt Lismore gab es in 5 Jahren 1 extreme Jahrhundert-Dürre mit Waldbränden und 2 Jahre nacheinander Überschwemmungen, die laut Immobilienversicherung einmal im Jahrhundert passieren sollten. Als Folge steigen die Versicherungsprämien in all diesen Gebieten schnell an und die Immobilienpreise fallen. Für die ganze Welt berechnet, sind die Verluste jetzt schon riesig. Sie nehmen außerdem mit jedem Grand Erderwärmung exponentiell zu. Die Global Commission on Adaptation (GCA) schreibt in ihrem neuesten Bericht, dass wir auch investieren müssen, um uns an den Klimawandel anzupassen. Beispiele: Die Infrastrukturen müssen widerstandsfähiger werden, die Landwirtschaft muss für vermehrte Trockenheiten angepasst werden und die Mangroven sind zu schützen. 1 US-Dollar, der heute in die Klimaanpassung investiert wird, wird Verluste von 7 US-Dollar im Jahr 2030 vermeiden.
Diese und ähnliche Kosten wurden von Nicholas Stern bereits im Jahre 2006 berechnet, geschätzt und in seinem Bericht "Review on the Economics on Climate Change, London School of Economics" veröffentlicht. Der Bericht war ausführlich dokumentiert ... und wurde weitgehend ignoriert. In einem 2019 erschienenen Bericht haben Nicholas Stern und Andrew Oswald von der Warwick University folgende Beobachtung gemacht: "Von den 77 000 wissenschaftlichen Artikeln, die in den renommiertesten wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden, betrafen nur 57 das Thema Klimawandel, also ein Anteil von 0,074% ". Es sieht ganz so aus als wäre die Ideologie der Wirtschaftswissenschaften im 20. Jahrhundert stecken geblieben.
[8] ˄ IEA, Sustainable Recovery Tracker, July 2021. Ausserdem wird die Nachfrage nach energiedichter Kohl für Kraftwerke stark steingen.
[9] ˄ Institut Othering & Belonging de l'université Berkley Californie, "Most to Least Segregated Cities" : Im Jahr 2019 wiesen 80 % der Städte mit mehr als 200 000 Einwohnern eine stärkere ethnische, soziale und politische Segregation auf als 1990. Diese Segregation verstärkt die Polarisierung der Gesellschaft weil Menschen mit unterschiedlichen Identitäten kaum mehr miteinander sprechen. Stephen Menendian, Direktor des Instituts, fast seine Studie so zusammen: "Dieses Land befindet sich noch immer in einem arg schlechten Zustand".
[10] ˄ Stanford Institue for Economic Policy Research, Cross-country trends in affective polarization, Januar 2020. "Affektive Polarisierung" ist ein wissenschaftlicher Ausdruck, welcher das Ausmass des Hasses zwischen identitären Gruppen beschreibt. Auf einer Skala von 0 bis 100 bewerteten die Amerikaner 1978 den Unterschied in ihren Gefühlen gegenüber Mitgliedern ihrer politischen Partei und der anderen Partei mit 27. Wenn die Amerikaner 2019 erfahren, welche Partei eine Person wählt, hat sich der Stimmungsunterschied auf derselben Skala auf 56 erhöht. Die amerikanischen politischen Parteien sind zu "Konglomeraten identitärer Gruppen“ geworden. Dies ist eine mehrheitlich amerikanische Tendenz. Gemäss derselben Veröffentlichung ist die "emotionale Polarisierung" seit dem Jahr 2000 in Ländern wie Deutschland, Norwegen und der Schweiz zurückgegangen.
[11] ˄ Psychology Today, Why Is Narcissism Increasing Among Young Americans?, Peter Gray, Jan 2014